Ich lerne Astrid kennen, sage einmal Frau Braun, danach immer nur noch Astrid. Sie zeigt mir das Haus, sagt dass ich eh auch zu Fuß vom Bahnhof hätte hergehen können.
„Der Koffer ist schwer“, sag ich, und: „Wir können ja beim Rauftragen in jedem Stockwerk ein bisschen rasten.“
Im ersten Stock ist Astrids Büro, im zweiten die Künstlerinnenzimmer. Ich bemerke, dass ein Haus ja zwei Seiten hat, überschlage im Kopf noch einmal: Zweiundzwanzig Fenster, so viele Möglichkeiten jenseitig herumzulungern.
„Zweiundzwanzig Fenster“, sag ich zu Astrid, „da ist das Haus ja ganz hell.“
Mit der Stipendiatinnenwohnung bin ich gleich in Love, ein riesiger Schreibtisch, Dachbalken und auch sonst genügend Platz.
„Da spür ich die Kreativität schon brodeln“, sag ich zu Astrid, als wir ins kleine Schlafzimmer treten, „und hier ist es ja bestimmt superleise.“
„Tja“, sagt Astrid. Im Hof hat die Bäckerei ein freistehendes Knusperhäuschen mit sechs Dachfenstern.
„Die fangen schon recht früh an in der Backstube“, sagt Astrid, „um Mitternacht“ sagt sie, „ich hoffe, es wird dir nicht zu laut.“
„Sicher nicht“, sag ich, „ich bin ja ein unkomplizierter Mensch.“
„Und falls du in der Nacht ein Klopfen hörst“, sagt Astrid: „das ist die Heizung. Wenn die Heizung zischt, kannst du sie ignorieren, aber wenn es sich anhört, als würde einer mit einer Stange dagegen schlagen, musst du runtergehen, in mein Büro oder in den Tagungsraum und am Heizkörper drehen.“
„Ah so“, sag ich, „das ist ja alles kein Problem.“
„Und wenn du’s in der Nacht piepen hörst“, sagt Astrid bevor sie das Zimmer endgültig verlässt, „dann ist das nicht in deinem Kopf, dann ist das der Ofen in der Bäckerei.“
„Gut zu wissen“, sag ich: „Dann bis morgen.“
Ich flaniere durch den HIT-Supermarkt als wäre es ein neu erbauter Flügel meiner Residenz. Ich kaufe mir Antipasti und Rotwein, immerhin bin ich jetzt historische Hausbesetzerin, da kann man sich so etwas schonmal gönnen. Ich koche mir vegetarisches Chili, esse zwei Portionen im hell erleuchteten Seminarraum. Ein vorbeigehendes Pärchen hält mich für ein Kunstprojekt und studiert mich interessiert. Ich räume ab und beschließe im neuen Jahr weniger Alkohol zu trinken. Eine halbe Flasche Rotwein, in mir und dem Chili, und zu viele Erinnerungen an Weingläser in letzter Zeit daheim in Berlin, auf Lesetour und überhaupt.
Um drei Uhr reißt mich ein durch die Gegend geworfenes Backblech aus dem Schlaf. Tatsächlich, die Bäcker randalieren ganz schön in ihrem Häuschen. Ich mache mir Ohrstöpsel rein, höre sie noch immer. Eine Viertelstunde später beginnt die Heizung zu klopfen, ich wandere durchs Haus und suche nach dem richtigen Heizkörper, suche den Patienten 0, der alles verursacht, finde ihn, gehe wieder ins Bett und muss aufs Klo. Bäckereigeräusche, Heizung und Blasenschwäche vereinen sich zu einem Rhythmus, zu einem Reigen, der mich die ganze Nacht über periodisch durchwurstelt. Am Morgen liege ich mit blutunterlaufenen Augen da und höre die Bäcker die Schlingen der Salzbrezeln drehen.
„Wie hast du geschlafen?“, fragt Astrid mich.
„Nicht so gut“, sag ich: „Die Bäcker sind org.“