Salut,
da ich noch nie auf/in einem Blog tätig war, ist das nicht nur eine Weltpremiere, sondern dient vor allem der Befriedigung meiner Neugier – zumal ich denke, dass ich allzu häufig kaum in diesem Medium tätig sein werde.
Wenn ich „Blog“ höre, fällt mir als Erstes die sehr hübsche BVG-Werbung ein (= Berliner Verkehrsbetriebe), die leider nur kurze Zeit zu sehen war – vielleicht gab’s, von welcher Seite auch immer, Kritik. Zu sehen war eine junge Dame, ein bisschen frech dem Anschein nach (und wenn ich mich recht erinnere: in einem BVG-Outfit), und als Schrift die Sentenz: Bloggerin kann jede – werde Busserin.
Das als kleine Einführung.
Beworben habe ich mich für das Aufenthaltsstipendium im Stuttgarter Schriftstellerhaus, weil ich vorhabe bzw. eigentlich schon begonnen habe, einen Roman zu schreiben, der zu guten Teilen in Stuttgart spielen wird.
Einen Anfang gibt es unterdessen (ca. 20 Seiten; wird aber noch nix verraten); dienen sollte der Aufenthalt allerdings vor allem der Recherche. Dazu vielleicht zunächst ein Auszug aus dem Exposé:
„Warum Stuttgart als zentraler Ort der Handlung?
Die Stadt gilt in vielen Aspekten als größtmöglicher Gegensatz zu Berlin, wo die meisten meiner Romane spielen. Im eine Fall wird häufig „das Leben an und für sich“ mit der Stadt assoziiert, im anderen Fall ein Maxiumum an Biederkeit. Mein Protagonist mag von ähnlichen Gedanken geleitet worden sein, als er Berlin verlassen und sich einen Ort gesucht hat, der nicht nur eine erhebliche Entfernung zu Berlin aufweist, sondern zumde eine extreme Distanz in Bezug aufs „Lebensgefühl“ – aus Berliner Sicht ist Stuttgart oft so etwas wie „das Ende der Welt“. Genau dorthin hat sich mein Protagonist nach dem Desaster, das die erste Hälfte seiner Lebens darstellt, flüchten wollen.
Obwohl ich schon seit über zehn Jahren Romane im Klett-Cotta-verlag publiziere, kenne ich Stuttgart kaum. (…) der Aufenthalt [wäre] auch ein Experiment, inwieweit der durchaus bornierte Blick auf Stuttgart nicht bloß ignorant ist.“
Soweit vielleicht zur Vorüberlegung.
Da ich während der ersten 6-8 Wochen meines Aufenthalts parallel zu der beginnenden Recherche sowie den Überlungen und Entwürfen im Hinblick auf den neuen Roman (der den Arbeitstitel „Stuttgart“ – was auch sonst? – trägt) noch ein Jugendbuchmanuskript fertigzustellen hatte, bin ich eventuell nicht ganz so weit gekommen wie erhofft. Aber genutzt hat der Aufenthalt allemal.
Dabei will ich mir auch keineswegs anmaßen, das Lebensgefühl der Stuttgarter ergründet zu haben – schon bei den entsprechenden „Gefühlen“ der Berliner weiß ich, wenn ich danach gefragt werde (was hie und da vorkommt), wenig Dezidiertes zu sagen: Was, bitte, ist „der Berliner“ oder sind „die Berliner“? Mit den Stuttgartern wird das nicht anders sein.
Dennoch ist es interessant festzustellen, was für Unterschiede es gleich auf den ersten Blick gibt.
In Stuttgart wird zeitig aufgestanden. Das Leben folgt einem klaren – man kann auch sagen: normierten – Rhythmus. Wahrscheinlich, weil die allermeisten eine Arbeit haben. Ist in Berlin eher anders. Zumal die 100-200.000 Studenten das Bild und das Leben der Stadt nicht wenig prägen. In Stuttgart ist das deutlich weniger der Fall. Es gibt auch deutlich weniger „Spätis“, Cafés, Kneipen. Oft sind diese (nicht selten: kurzlebigen) Einrichtungen in Berlin initiiert von Leuten, die der Arbeitslosigkeit zu entkommen versuchen (das Stichwort hieß vor einigen Jahren noch: Ich-AG). Und während die einen initiieren, sind die anderen die Kunden jener Lokale und Läden. In Stuttgart scheint für das eine wie das andere wenig, oder zumindest: weniger, Bedarf zu bestehen.
Obwohl größere Teile der Recherche noch ausstehen und ich deswegen in diesem Jahr gewiss noch einige Mal nach Stuttgart kommen werde, meine ich immerhin schon zu wissen, dass mein Protagonist in einer – leicht fiktionalisierten – Kanalstraße (Bohnenviertel! mit einer Frau, die als Hexe verkleidet, stadthistorische Vorträge hält – grandios) arbeiten, in Kornwestheim Fußball spielen (kleine Reminiszenz an den 1902 – Geburtsjahr meines Großvaters mütterlicherseits – gegründeten, einst in der Regionaliga beheimateten 1. FV Salamander Konrwestheim) und auf einem der seltsam unechten Hinterhöfe (keine geschlossenen Fassadenzüge, im Gegensatz zu Berlin) zwischen Sitzenburg- und Hohemheimer Straße (mehr zu letzterer hin) in einer Parterre- oder besser Souterrainwohnung weniger wohnen als hausen wird.
Bis, kurz nach Neujahr 2019, das vergangene Weihnachten liegt atmosphärisch noch in der Luft, für meinen Helden jedes Jahr die schwierigesten ein bis Wochen, bis also …
Mehr möchte ich hier, wie gesagt, noch nicht verraten.
Das Jugendbuch – dessen Arbeitstitel „Das schöne Leben und der schnelle Tod“ lautet – soll übrigens im Frühjahr 2019 bei S.Fischer/(voraussichtl.)Sauerländer erscheinen. Der Stuttgart-Roman, so meine Hoffnung, dann im darauf folgenden Jahr – wiederum, passenderweise, bei Klett-Cotta.
Zum Schluss noch zwei Zitate einer, wenn man so will künstlerischen Initiative, die ich für absolut erwähnenswert halte.
Es handelt sich um plakat-ähnliche Anschläge, auf keinen Fall größer als DIN A2, mit handschriftlich aufgebrachten Sentenzen, die das gesamte Blatt bedecken. Die Worte schließen – horizontal wie vertikal – derart einander an, dass man zweimal hinsehen muss, bevor der Text entschlüsselt ist. Aber es lohnt sich, die mit gut haftendem Leim fixierten Sinnsprüche zu entziffern, die in der Erscheinung einer Zeichnung oder einem hastigen Gemälde ähneln.
Auf dem einen Plakatchen, Hohenheimer Straße, kurz vorm Charlottenplatz, steht: „Mit dreckigen Turnschuhen über rote Teppiche“ (großartig!); auf dem anderen, nahebei, wenn man links in den Durchgang zum Persischen Restaurant in der Kanalstraße abbiegt, ist, befestigt an der Stahltür zu einem Müllraum, zu lesen: „Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle.“
Stuttgart – wunderbar!
(Michael Wildenhain, Ende März 2018)