Seit Monaten recherchiere und arbeite ich an meinem Romanprojekt, das ich für mich „Die Bestimmung der Nachtfalter“ nenne. Im Zuge der letzten Wochen, fällt mir auf, hat sich meine Arbeitszeit zunehmend in die Nacht verlagert.
Wenn mein Bäckernachbar längst seine allmorgendliche Arbeit angetreten ist, wie das Klappern seiner Backbleche im Hof verkündet, wenn der Geruch nach Frischgebackenem, selbst bei geschlossenem Fenster, durch die Ritzen dieses uralten Gemäuers dringt, gehe ich zu Bett. Ich liege noch eine Weile wach, starre an das dunkle Dachgebälk, das so alt ist wie die Figuren meines Romans heute wären, und werde sanft von meinem Nachbarn in den Schlaf geklappert. Eines der wenigen Arbeitsgeräusche im Übrigen, das um 1800 wohl nicht recht viel anders klang.
Wenn ich am späten Vormittag aufstehe, irgendwann nach draußen auf die Straße trete, um bei meinem Nachbarn ein Brötchen oder Weckle zu kaufen, wenn dann wie heute die Sonne scheint, kneife ich die Augen zusammen und habe das Gefühl, bereits lichtempfindlich geworden zu sein. Ich denke an den Mond, der des Nachts nun wieder zunehmend am Himmel steht und täglich höher steigt.
Wenn man schreibt, übernimmt die Geschichte irgendwann die Führung. Und man weiß nie genau, wo das endet. Zumindest geht es mir so.
Manchmal geschehen eigenartige Dinge, man trifft auf ungewöhnliche Leute. Oder Tiere. In unserer Küche habe ich kürzlich Lebensmittelmotten entdeckt. Und als ich letztens anlässlich einer Gala meinen Smoking aus dem Kleiderschrank zog, fiel mein Blick auf drei große Mottenlöcher im Ärmel. Vielleicht ein Corona-Opfer (wann trug ich zuletzt einen Smoking?), aber an Motten in der Wohnung kann ich mich noch viel weniger erinnern. Sind das die Geister, die ich rief?
Die Nachtfalter jedenfalls sind ein Universum für sich: Wenn hierzulande jemand von Schmetterlingen redet, meint er meist die 189 verschiedenen Tagfalter, die es in Deutschland gibt. An Nachtfalterarten hingegen fliegen über 3.500 Spezies durch unsere Gefilde. Die meisten leben im Verborgenen, zumindest tagsüber, und trotzdem sind sie allgegenwärtig. Selbst jetzt, im Winter, kann man den Kleinen Frostspanner beobachten, der kürzlich in meinen Roman geflattert ist.
Übrigens hat man vor einigen Jahren das älteste Schmetterlingsfossil der Welt entdeckt – in Deutschland. Es ist rund 200 Millionen Jahre alt und hat für Aufruhr unter Evolutionsforschern gesorgt: Bis dahin dachte man, dass sich Blütenpflanzen im Laufe der Evolution zuerst entwickelt haben, und dass Schmetterlinge, die sich von deren Nektar ernähren, später hinzukamen. Was logisch scheint. Dem ist allerdings nicht so. Die Motte, deren versteinerte Flügelschuppen man zuletzt entdeckte, war bereits Millionen von Jahren vor der ersten Blühpflanze auf der Welt. Vermutlich war es also umgekehrt: Nicht die Blumen haben zur Entwicklung der Schmetterlinge geführt, sondern es gibt nur deshalb Blumen, weil es Schmetterlinge gibt.
Was mich als Motte nicht erstaunt: Wer es vom Ei zur gefräßigen Raupe, zur scheinbar leblosen Puppe, zum fliegenden Falter (der sich nur von Nektar und Liebe ernährt), schafft- der kann auch eine läppische Blume herbeirufen.