In den letzten Jahren kann ich keine guten Filme schauen, weil ich schnell zu weinen beginne, also muss ich darauf achten, allein zu sein, bei Residenzstipendien setze ich mich tagsüber in kleine Kinos in die letzte Reihe, wo ich schluchzend Taschentücher hervorkrame und beim Aufstehen in den Lichtstrahl des Projektors gerate. Texte sind sozial praktikabler, ich kann aufhören, überspringen wann ich will, beim Lesen trage ich die Last mit mir herum und irgendwann bricht sie heraus, an unvorbereiteter, unpassender Stelle. Bei Vena weinte ich durch, da ich so froh darüber war, wie sanft das Paar miteinander umging, obwohl sie alle Probleme der Welt hatten, weil mich die Gefängniszelle, in der die Frau landete, von ihrer Ausstattung sehr an Residenzzimmer erinnerte, und vor allem weil ich traurig war darüber, wie die Selbstbestimmung einer Frau im deutschen Film einherging mit zunehmendem Verzicht auf Schminke, eine richtige Mutterschaft mit der Entscheidung gegen Kaiserschnitt und für das Stillen, ein bisschen noch, und die drogenabhängige Frau mit falschen Wimpern wäre im Zuge ihrer Umerziehung bei Demeter oder Alnatura gelandet. Also weinte ich, weil ich nach Hause wollte, weil ich dieser Frau so gern geholfen hätte, und weil gute Kunst so leicht zu ruinieren ist.
Dezember 2024
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Slata Roschalhttps://www.slataroschal.de
Im letzten Quartal des Jahres 2024 wird Slata Roschal in Stuttgart leben und arbeiten. Sie erhält das Stuttgarter Lyrikstipendium, das aus dem Erbe unserer 2017 verstorbenen Ehrenvorsitzenden Dr. Ruth Theil in Gedenken an Johannes Poethen, den Lyriker und Gründer des Stuttgarter Schriftstellerhauses finanziert wird.