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„Gestohlene Luft“ von Yevgeniy Breyger Live-Stream-Lesung

Die Buchläden haben tatsächlich geöffnet!

Das Buch von Kathrin Schmidt (s. den vorigen Beitrag) kann bequem gekauft werden.

Und unbedingt auch das neue Buch von Yevgeniy Breyger, der im Herbst die Stipendiatenstube bewohnte, den zweiten Gedichtband „Gestohlene Luft“. Mit Gedichten aus dem damals noch geplanten Buch hat er den Leonce-und-Lena-Preis gewonnen.

Heute um 20 Uhr kann man die Live-Stream-Lesung aus diesem Buch einschalten!

https://www.youtube.com/watch?v=weU64Ux_4Ig

Hier ein Gedicht aus dem Band:

KÖNIGREICH DES REGENS

In der Nacht, als das Dorf sich bewaffnet, erfährt sie

ihre Bestimmung, die großen Felsen zu beschießen.

Am Flusslauf warten sie wie Augen. Entschieden,

ruhig kriecht Stein über Stein – Von ihr weg?

Wieder eine falsche Richtung, gröber als Sand,

Pulver, das ihr nicht gehorcht. Diese trockene Ader,

kann ich sie fassen? Felder – Felder. Wälder – Getier.

Im Denken verschwimmt eine Erinnerung. Sie läuft

in den Wind. Durch die innere Welt, entschlossen zum Fels,

hört Schüsse. Geschichte schießt auf Geschichte,

Hunde erschießen sich, Dorf schießt auf Stadt, Tiere

schießen Pflanzen auf Mineralien. Flinten gleiten

durch Hände. Substanzen beschießen ein weiches

Gemisch aus Gummi und Erde – Vogelschwärme

existieren als solche Geschosse, denkt sie,

und verschwinden zwischen Himmel, zwischen

Boden, in einer Brust. Weder Ankommen noch

Verschwinden ist möglich, wenn du so stark liebst.

Tritt hinaus, selbst der Fels hat gelernt zu verzeihen.

Tritt über zu den Menschen, ihre Körper

halten sich am Leben, indem sie wie Knospen

aufgehen, wenn es warm wird. Jahrlang Frühling,

wohin soll ich gehn? Aufgeben sei dir Gewinn.

Vergiss, was du tust, folge einem Gesang.

Olga Martynova
Olga Martynova
Olga Martynova ist von Februar bis Ende April 2021 Gast im Stuttgarter Schriftstellerhaus. Sie erhält das Lyrikstipendium des Schriftstellerhauses für ihren Zyklus “Speranza”, der in einen geplanten Lyrikband einfließen soll. Olga Martynova, 1962 in Sibirien geboren, aufgewachsen in Leningrad. 1991 zog sie zusammen mit Oleg Jujew (1959-2018) nach Deutschland. Zahlreiche Veröffentlichungen in russischsprachigen Periodika, vier Lyrikbände. Ihre Gedichte sind ins Deutsche, Französische, Schwedische, Italienische, Serbische, und Englische übersetzt. Seit 1999 schreibt sie Buchbesprechungen und Essays für deutschsprachige Medien (u.a. Die Zeit, Frankfurter Rundschau, Neue Zürcher Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung).