Eine Stadt liest ein Buch
„Eine Stadt liest ein Buch“ bezeichnet eine Form der intensiven, Generationen übergreifenden Leseförderung, bei der über mehrere Wochen möglichst viele Menschen einer Stadt ein bestimmtes Buch lesen und auf Veranstaltungen mit bekannten oder unbekannten Personen darüber sprechen.
Die Auswahl des Buches obliegt in der Regel der Einrichtung, die das Projekt anstößt und durchführt. Es können Titel ausgewählt werden, die mit der austragenden Stadt und ihrer Geschichte in Verbindung stehen, aber auch moderne Klassiker, die sich durch eine besondere thematische Vielfalt auszeichnen und literarisch interessant sind. Wichtig ist, dass das ausgewählte Buch von Jung und Alt gleichermaßen gelesen werden kann, um so einen lebendigen Austausch zu ermöglichen.
Veranstalter sind in erster Linie Kultur- und Bildungseinrichtungen aus der betreffenden Stadt wie in Stuttgart etwa alle Stadtteilbüchereien, die Volkshochschule, die Musikhochschule, verschiedene Museen, der Hospitalhof, die Hochschule der Medien, die Universität sowie die Schulen. Auch soziale Einrichtungen wie Altenheime, Krankenhäuser und Mehrgenerationenhäuser können sich daran beteiligen. Sie alle werden unterstützt vom ortsansässigen Buchhandel.
Die Idee zu dem Projekt stammt aus Chicago, dort wurde es erstmals als „One City – One Book“ realisiert. In Deutschland haben sich seit 2002 bereits einige Städte wie Frankfurt, Köln, Hamburg und Düsseldorf sehr erfolgreich “ihr” Buch gelesen.
Das Stuttgarter Konzept
Jede Stadt, die entscheidet, sich diesem Literaturformat zu nähern, entwickelt ein eigenes Konzept. Frankfurt z.B. hat sich für die AutorInnen des Verlags Schöffling & Co. entschieden sowie im weiteren Sinne für die Frankfurter Stadtgeschichte. Köln hingegen hat sich für moderne Klassiker entschieden und so unterschiedliche AutorInnen wie Irmgard Keun, also eine nicht lebende Autorin, oder Rafael Chirbes, spanischer Autor der Gegenwart, ausgesucht, AutorInnen also ohne speziellen Köln-Bezug.
In der Planungsgruppe von Stuttgart liest ein Buch sind:
- Dr. Alexandra Birkert, Literaturhistorikerin und Autorin
- Astrid Braun, Initiatorin des Projekts, Geschäftsleitung des Schriftstellerhauses, Germanistin
- Moritz Heger, Vorsitzender des Vereins Stuttgarter Schriftstellerhaus, im Hauptberuf Gymnasiallehrer am Evang. Heidehof-Gymnasium in den Fächern Deutsch, Theater und Ev. Religion, Romanautor und Lyriker
- Barbara Knieling, Lese- und Literaturpädagogin
- Wolfgang Tischer, Literaturkritiker und Herausgeber der mehrfach preisgekrönten Website literaturcafe.de
- Susanne Martin, ehemalige Inhaberin der Schiller-Buchhandlung in Stuttgart-Vaihingen, betreut die Social-Media-Seiten von „Stuttgart liest ein Buch“
- Dr. Stefanie Stegmann, Leiterin des Literaturhauses Stuttgart
- Petra Bewer, Antiquarin und seit vielen Jahren bei den sachkundigen BürgerInnen der Stadt Stuttgart und Mitglied des Ausschusses für Kultur
- Monika Renninger, evang. Pfarrerin, Leiterin des Hospitalhofes Stuttgart
- Reinhilde Rösch, Geschäftsführerin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Landesverband Baden-Württemberg
- Tobias Wengert, Veranstaltungsmanagement der Stadtbibliothek Stuttgart
Die von der Planungsgruppe in Stuttgart definierten Kriterien:
- ein moderner Roman der Gegenwart, nach Möglichkeit keine Übersetzung
- ein Autor, eine Autorin, die sehr gut Deutsch spricht
- ein ‚welthaltiger Roman’
- ein Autor, eine Autorin, die das Projekt mit Ausstrahlung und sicherem öffentlichen Auftreten mitträgt
- ein Roman, der durch Themenreichtum überzeugt und deshalb von vielen aufgeschlossenen Einrichtungen unterstützt werden kann
- ein Roman, der von Jung und Alt und quer durch viele Bevölkerungsschichten gelesen werden kann.
Ausdrücklich handelt es sich nicht zwingend um einen Stuttgart-Roman, denn der Titel heißt ja nicht: Stuttgart liest ein Stuttgart-Buch, sondern „Stuttgart liest ein Buch“.
Wir wählen nicht einfach „gute Bücher“ aus, sondern schauen sehr genau darauf, welche Themen des Buches durch Einrichtungen der Stadt Stuttgart aufgegriffen und mitgetragen werden können. Neben Lesungen an verschiedenen Orten, in unterschiedlichen Buchhandlungen etwa, sind wir sehr an den vielfältigen Themen eines Buches interessiert, die durch Vorträge, Inszenierungen, Musik, Kurse an der vhs, Seminare an der Universität und/oder Hochschule der Medien, durch Ausstellungen etc. mitgestaltet werden können.
Hier liegt der besondere Reiz der Stuttgarter Variante. Schon bei der Auswahl der Bücher bevorzugen wir Bücher, die neben ihrer unbestrittenen literarischen Qualität viele Themen bieten sowie erhebliches Diskussionspotential.
Immer wieder werden wir gefragt, warum wir so sehr hinter diesem Projekt stehen.
Unsere Antwort:
- In der heutigen Zeit mehr denn je ist Lesen eine Kulturtechnik, für die man sich mit mehr Energie als früher einsetzen muss. Gerade die Befunde der letzten Monate des Jahres 2018, in denen es dramatisch weniger Buchkäufe gab, geben uns Grund, dieses Format geradezu als Pflicht anzusehen, um das Lesen und die Literatur zu stärken.
- Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft um einen Text gruppieren zu können, die jeweils herausziehen, was ihnen wichtig ist, das ist eine Qualität von guter Literatur: sie vereint, obwohl sie thematisch durchaus trennt und polarisiert.
Wir wollen nicht nur, dass überall Lesungen des Textes stattfinden, sondern wir wollen das Wertvolle der Literatur durch die begleitenden Veranstaltungen transparent werden lassen. Denn ein gutes Buch ist eine Folie für sehr unterschiedliche Rezeptionen. Frei nach Wolfgang Iser: nur im Akt des Lesens gestaltet sich der Inhalt des Buches jedes Mal völlig neu.
Die Qualität und die Welthaltigkeit des ausgewählten Buches sowie die Persönlichkeit des Autors oder der Autorin, das sind für uns letztlich die entscheidenden Punkte.