Ich empfehle, Friedrich Ani zu lesen. Unter den deutschen Kriminalschriftstellern ist er einer von denen mit der poetischsten Sprache. Ähnliche poetische Qualitäten habe ich bei Oliver Bottini gefunden. Aber das ist eine andere Geschichte und eventuell auch eine andere Empfehlung.
Darüber hinaus wurde Ani in den letzten siebzehn Jahren allein sechsmal mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet. Die melancholischen Romane Friedrich Anis sind in der Krimiszene Solitäre und knüpfen doch zugleich an eines der zentralen Muster vor allem des hard-boiled Krimis amerikanischer Prägung an: Im Kern steht der demontierte, der verletzte Held.
„All die unbewohnten Zimmer“ ist der von mir zum Verschenken empfohlene Roman, in dem eine Bibliothekarin in einem Park in München erschossen und ein Polizist verletzt werden. Ein Streifenpolizist wird am Rande einer rechtsradikalen Demonstration zum Opfer. Hier ermitteln Kommissare und eine Kommissarin, die die Leserinnen und Leser aus Friedrich Anis Romane bereits kennen: Da ist zum einen die Kommissarin Fariza Nasri sowie die Kommissare Polonius Fischer, Jakob Frank und der aus seiner ungewöhnlichen Serie um den „Verschwundenensucher“ bekannte Tabor Süden.
Friedrich Ani legt seinen Plot überaus komplex an: aktuelle Themen wie Flüchtlingspolitik und neue Rechte greift er auf. Dabei teilen alle Figuren in sich eine Überforderung von der Gegenwart. Die ganze Geschichte ist in dunkle Grautöne getaucht, ein treffendes Zeitgeist-Porträt.
Nicht nur der Krimiplot hat mich diesen Roman mit großem Genuss lesen lassen, aber Achtung: Er ist kein Pageturner. Es ist vielmehr die Sprache Anis, die mich immer wieder fasziniert und den Lyriker Ani entdecken lässt. Erst vor zwei Jahren hat Friedrich Ani seinen letzten Lyrikband: „Die Raben von Ninive“ veröffentlicht, der ebenfalls bei Suhrkamp erschienen ist.
Daher sicher auch die ungewöhnlichen Bilder in den Beschreibungen von Seelenzuständen: „Sein Freund Martin (i.e. ein Kollege von Süden) hatte öfter hier übernachtet, allein oder mit einer Frau aus dem Nachtgeschäft, die er auf den Touren durch die Keller seine Schlaflosigkeit aufgegabelt und mitgeschleppt hatte – im Bewusstsein, dass er nicht mit ihr schlafen, sondern sie nur festhalten würde, weil er sonst von der Erde rutschte.“
Welch ein Bild für die Verzweiflung!
Im Roman wird auch gern und viel getrunken, „mit der Folge, dass ihnen der Kopf am darauffolgenden Morgen beidseitig aus dem Bett hing“. Dann steht das abgestürzte Paar vor einem neuen Tag, der vom ersten Augenaufschlag an einer von den „abgefrühstückten Tagen“ ist. Der wieder nicht gut wird: „Von draußen winkte er durchs Fenster, mit einer fahrigen Geste; ein flüchtiger Gruß aus dem Wrack der Welt, die ihm geblieben war.“
Auch Lebenslügen spielen auf unterschiedlichen Ebenen des Romans eine Rolle wie in vielen Romanen von Friedrich Ani: „Das stumme Verschnaufen vor der Konstruktion einer Lüge; das lautlose Tasten nach einem Ausweg aus selbstverschuldeter Ausweglosigkeit.“
Friedrich Ani ist sicher nicht gezwungen, zu der „ausgeleierten Stimme in den Echokammern seines verhunzten Lebens zurückzukehren“. Er hat in seinen Romanen seine eigene Stimme gefunden. Seine sprachlichen Höhenflüge verzücken den Leser. Ich kann nicht von ihm lassen. Daher: Liebe Leserin, lieber Leser, legt Friedrich Ani unter den Weihnachtsbaum.
Friedrich Ani, „All die unbewohnten Zimmer“, 495 Seiten, Suhrkamp Verlag, Berlin, 22 Euro, als TB 12 Euro.
Friedrich Ani, „Die Raben von Ninive. Balladen“, 175 Seiten, Suhrkamp Verlag, Berlin, 18 Euro.