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Junges Grün – Überlegungen und Notizen

Ich möchte über das Grün der Bäume schreiben sonst nichts.

 

Eis essen vor der Apotheke (beobachten)
Überbau
Untergraben
Beobachten und beobachten lassen
Fledermäuse
Membranen
Kleider, die von einem Stuhl hängen
Rotlicht durch das Fenster

Als ich das erste Mal in Stuttgart joggen gehe, begegne ich grünen Papageien im Park. Soweit nichts besonderes. Auch in Düsseldorf, wo ich sonst wohne, ziehen Schwärme exotischer grüner Vögel durch die Stadt. Auch an vielen anderen Orten sind sie mir schon begegnet. Hier sehen die Vögel anders aus. Sie bilden auch keine großen Schwärme, sondern ich sehe sie höchstens zu dritt je Platane sitzen. Sie wirken größer, stämmiger. Weniger Wellensittich, mehr Papagei.

Temperatursturz im Sonnenschein
Uno in der Ubahn
Folgen/fühlen

Als Kind stand ich irgendwann im Garten. Es war Frühling und das Sonnenlicht, das durch die jungen Blätter fiel, war grün. Seitdem hoffe ich jeden Frühling, diesen Moment wieder zu erleben. Das Wetter spielt hauptsächlich mit, dies möglich zu machen, während meines ersten Monats in Stuttgart.

Chlorophyll
Licht
Farbton

Ich gehe viel spazieren durch die Parks und den Wald der umliegenden Hügel. Um zu schreiben (vor allen Dingen bei Gedichten), muss ich denken können und besonders gut denken kann ich, wenn ich mich bewege.

Staubsaugerartiges Abweiden
Wasserfilm erlaubt Fortbewegung der Opfer
verkleben
heranziehen und isolieren
vegetieren
Venusfliegenfalle (da war ja was)

Also wandere ich umher, bis mir der Anfang eines Gedichts einfällt und dann kaue ich an den Wortbrocken herum, bis ich eine Bank finde, mich setze und daraus Notizen oder Gedichte werden.

Irgendwas über fließende Flüsse
Mäandern

Zwischen den Bänken beobachte ich die Natur beim Erwachen.

Flatterband
Vogelseele

Anfang April blühen die Obstbäume. Ich laufe durch weiße Wolken. Nach und nach sprießen kleine grüne Knospen. Blätter entfalten sich. Ich halte meine Finger hinter Buchenblätter, die noch so jung sind, dass sie halbdurchsichtig sind. Meine Finger sind mehr als ein Schatten hinter ihnen. Sie sind Fleisch hinter einem grünen Vorhang.

Am I to be thought the only criminal when all human kind sinned against me?“
– Mary Shelley, Frankenstein

Neben der Bewegung ist da das Lesen. Mein Recherchevorgehen kommt mir für Kunst- und Literaturprojekte immer sehr chaotisch vor. Egal welche Bibliothek ich nutze, die Bücher, die ich suche, verteilen sich über alle Stockwerke. Aus ihrer Auflistung ließe sich nicht wirklich erkennen, was ich mache, nur ein vages, zersplittertes Interessenfeld.

Befruchtungsvorgang bei den Moosen an das wässrige Milieu gebunden“
Stabilisierung der Sprossen
lebende Fossilien
Lufttriebe, Luftwurzeln
Moos-Herden
absonnig
Atemräume

Aktuell wühle ich mich hauptsächlich durch Bücher zu verschiedenen außergewöhnlichen Pflanzen. Fleischfressende, Moose, Farne und (mehr oder weniger Pflanzen:) Flechten. Gute Notizen sind solche, mit denen höchstens man selbst etwas anfangen kann. Oder bei denen man immerhin nur selbst rekonstruieren kann, wie sie zustande gekommen sind.

Präsenz schafft Ort
Autoflut
Kunst im Museum (White Cube) als heimatlose Kunst
unbewaffnete Augen
Tränen – trüb
Schwimmhäute

Später, beim Spazieren, schwirren mir die Notizen im Kopf herum.

Übergänge zwischen Wasser/Erde
Tang
Rost

Irgendwann ziehen auch mal Wolken auf. Ich nehme den Tag, an dem es das erste Mal regnet, bewusst wahr. Fast ist es überraschend, dass es auch hier Regen gibt.

Mit Worten spielen ist schön, aber braucht es auch Inhalt?

An einem anderen Abend stehe ich auf dem Balkon des Opernhauses und schaue in den Schlossgarten hinunter. Der Himmel sieht nach Unwetter aus. Alles ist nass, aber die Sonne kämpft sich hervor. Der Eckensee ist ein ruhiger Spiegel. Das Grün unter mir strahlt aggressiv, fast radioaktiv.

If good theatre depends on a good audience, then every audience has the theatre it deserves.“
– Peter Brook, The Empty Space

Ich denke an die DLRG-Kampagne über Sicherheit an Gewässern, der ich in den letzten Tagen mehrfach begegnet bin. Auch im Eckensee könnte man wohl ertrinken, aber wie so viel Wasser hier, ist er flacher, als man erwarten würde.

Der Reiher wieder bei dem Männerort im Park

Das, was mir an der Stuttgarter Innenstadt gleich auffällt, das, was mich am ersten Tag irgendwie berührt, ist, dass ich das Wasser vermisse. Klar, es gibt den Neckar. Ich finde ihm beim Laufen gehen kurz nach den Papageien. Aber es ist doch etwas anderes als mit dem Rhein. In Düsseldorf presst er sich an die Innenstadt und auch wenn ich ihn dort nicht täglich sehe, weiß ich doch immer, dass er da ist.1

Grün.
So junges, lebendiges Grün.

Und dann ist da noch dieses Schreibprojekt, für das ich zwei Jahre mehr oder weniger am Rhein entlang bis in die Schweiz gewandert bin. Deswegen sind mir Flüsse wohl gerade sehr präsent. Wasser findet immer wieder auf verschiedene Weisen seinen Weg in mein Schreiben. Und der Neckar wirkt von der Stuttgarter Innenstadt aus einfach so weit weg. So klein. So zahm. Domestiziert2.

Symbiosen. Parasiten.

Ich spaziere an ihm entlang in der Hoffnung, dass er sich dadurch etwas mehr belebt.

Wieso gibt es hier so viele Buntspechte?
Anekdoten stärker zerstückeln?
Bruchstücke aus Notizen
Erklärung, was das für Notizen sind?

Gegen Ende April regnet es dann doch mal mehr. Auch wenn es gerade geschauert hat, finde ich immer Bänke, die (mehr oder weniger) trocken sind. Das Wasser scheint es in Baden-Württemberg grundsätzlich nicht so ernst zu meinen.

Wozu schreibe ich Dinge auf? In der Hoffnung oder mit der Angst, dass jemand sie eines Tages lesen könnte?

Ich versuche ins Schreiben zu kommen, indem ich wahllose Beobachtungen festhalte. Tagebuch in Fragmenten. Es hält nicht lange an. Gedichte und Recherchenotizen nehmen die Überhand.

Beschäftigung mit Farben?

Mittlerweile hat einer der Bäume, die ich von meinem Esstisch aus sehen kann, schon richtige kleine Blätter. Der andere ist von einem grünen Dunst umgeben.

Tulpenduft
nach und nach
blühen
bluten
fleischfressende Pflanzen recherchieren

In meinen Gedichten verschmelzen Pflanzen mit tierischen Motiven, Dingen, Menschen. Moos wird zu einem Mantel. Wurzeln greifen unter die Haut.

fruktifizieren
gesellig an toten Weidenästen bzw. Ästen von toten Weiden
Was ist „mehlig-gurkenartig“ für eine Geschmacksbeschreibung?
Wellen, Wachstumsringe (?) bei Baumpilzen
konzentrische Zonen (verschiedenfarbig)

Ich dachte, mein Zugang würde in der Auseinandersetzung mit den Worten liegen. Stattdessen schaue ich der Natur und ihren Regungen zu und die Worte kommen von selbst. Hinter den Buchenblättern werden meine Finger immer unsichtbarer. Die Bäume schütteln ihre Blüten ab, leuchten in den unterschiedlichsten, intensivsten Grüns, sind Gelb besprenkelt. Und ich frage mich:

(Keine) Tapetentüren. Brandschutzkram.
Schreibe ich später noch ein Gedicht?

schreibe ich einfach nur Frühlingsgedichte?

1 Erst im Nachhinein ist mir bewusst geworden, wie(so) ich während meines Studiums von meinem Arbeitsplatz den Rhein beobachtet habe. Das war die Alternative zur Bewegung, wenn ich Denken musste, aber nicht aufstehen wollte.

2 Nein, nicht einmal das, denn das würde ja implizieren, dass er versucht hat, sich zu wehren. Richtiger wäre wohl: domestisch.

Miriam Bornewasser
Miriam Bornewasser
Mit der gerade einmal 25-jährigen Dichterin Freya Miriam Bornewasser erhält ein Nachwuchstalent das Stuttgarter Lyrik-Stipendium. Sie wird von April bis Juni 2025 unter unserem Dach wohnen und arbeiten. Miriam Bornewasser hat schon zwei Gedichtbände im Geest-Verlag veröffentlicht, dazuhin ein abgeschlossenes Kunststudium an der Düsseldorfer Akademie vorzuweisen.