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Teppich auf Asphalt

Winter. Zwischen Glühwein und Weihnachtsgeschäft beginnt für wohnungslose Menschen die schwierigste Zeit im Jahr. Ein Text über Sperrmüll und Solidarität.

Plötzlich ist es Winter. Noch vor wenigen Momenten saß ich im Übergangsjäckchen im Schlosspark und las, jetzt habe ich Handschuhe dabei und klappe den Kragen hoch. In letzter Zeit war ich viel unterwegs, für Lesungen und Veranstaltungen, kreuz und quer durch Deutschland, und das Schriftstellerhaus war mein Heimathafen, in dem ich zwischendurch pausierte und durchatmete. Als Krankenschwester, die lange Zeit im Suchthilfesystem gearbeitet hat, ist mein Blick auf fremde Städte ein anderer, denn ich sehe Dinge, die anderen vielleicht nicht auffallen würden. Ganz unbewusst suchen meine Augen die Orte, an denen verkauft und konsumiert wird, an denen man sich kurz trifft und dann wieder schnellen Schrittes verschwindet. Ich schiele in die Kneipen, in denen schon morgens ein Herrengedeck auf der Theke steht. Manchmal gehen die Pferde mit mir durch, und ich bilde mir ein, sogar zu sehen, ob die Verkäuferin an der Supermarktkasse am Vorabend eine Schlaftablette mehr hatte als sonst. Und genauso, wie ich mich nach der Sucht umschaue, sehe ich auch die Hauseingänge und Ecken, in die sich wohnungslose Menschen zurückziehen. Nicht, weil Wohnungslosigkeit und Sucht grundsätzlich verwandt wären, nein, aber weil meine Arbeit so viele Erzählungen aus dem Leben auf der Straße an mich herangetragen hat, dass ich es unmöglich je wieder übersehen kann. Und: Es sagt so viel über eine Stadt, wie sie mit diesen Menschen umgeht. Ich sehe die Warteschlangen vor Einrichtungen, genauso wie Parkbänke und Flächen, die architektonisch so gedacht sind, dass man es sich nicht darauf bequem machen kann. Metalldornen auf Hauskanten und Vorsprüngen, als wollten sie übergroße Tauben fernhalten.

Vor einiger Zeit, wieder zu Hause im Schriftstellerhaus angekommen, steht die Sperrmüllabholung kurz bevor. Alte Spülmaschinen, Möbelteile und Kram stehen auf den Gehwegen. Nach einer Nacht ist alles noch nicht abgeholt, doch die Teile wirken aussortierter und verstreuter. Bei einem Spaziergang begegnet mir ein alter Holztisch wieder, jemand hat sich ein Bett daraus gebaut, in einer Nische. Jemand anderes hat den kalten Boden mit ein paar Teppichen isoliert. Einer ist rosa mit Blumenmuster, sieht aus, als habe er vor kurzem noch in einer hübschen, kuscheligen Stadtwohnung gelegen, die Heizung auf fünf.

An einem anderen Morgen muss ich früh in die Innenstadt, noch etwas besorgen, die Geschäfte haben gerade erst geöffnet. Im Park sitzen Leute auf den Bänken, welche die Nacht ganz offensichtlich im Freien verbracht haben. Sie wärmen ihre Hände an Pappbechern und recken sich in die aufgehende Sonne, die zu dieser Jahreszeit nicht mehr viel hergibt.

Der Winter hat etwas Unerbittliches, wenig Romantisches oder Weihnachtliches, wenn man ihn so betrachtet. Umso wichtiger und unverzichtbarer sind Kältebusse, Notschlafstellen und andere Einrichtungen, die sichere, warme Räume und Fluchtpunkte schaffen. Diese Strukturen werden nicht selten von Ehrenamtlichen getragen, und müssen mit sehr wenig Geld und Ressourcen auskommen. Weihnachten wäre ein schöner Anlass für zwischenmenschliche Solidarität, umgesetzt in Tatkraft. Oder was meinen Sie?

Lena Schätte
Lena Schätte
Lena Schätte (* in Lüdenscheid) ist eine deutsche Schriftstellerin. Sie wurde mit dem Roman "Das Schwarz an den Händen meines Vaters" bekannt. Für den Prosatext Schnapstage erhielt sie 2024 den W.-G.-Sebald-Literaturpreis. Lena Schätte ist im Herbst 2025 Stipendiatin im Stuttgarter Schriftstellerhaus.