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Erste Eindrücke – Stuttgart im Lockdown

Am Abend beim ersten Spaziergang:

Ein Mann in einer nassen, dunklen Grünanlage spricht im Gehen ins Telefon über ein Konzert und die Generalprobe davor, bespricht Details. Offensichtlich werden die Künstler langsam verrückt und bekommen Wahnvorstellungen, denn was für ein Konzert, wir sind tief im Lockdown und in Stuttgart beginnt in dreißig Minuten die abendliche Ausgangssperre.

Blick in den Frisörladen um die Ecke
Blick in den Frisörladen um die Ecke Foto: Susanne Martin

Nicht nur Künstler. Eine unwahrscheinliche Szene am nächsten Morgen hinter der Glaswand eines Friseursalons: In jedem Sessel sitzt ein Kunde und wird frisiert. Beim genaueren Blick sieht man, dass an den Kopfstützen Perückenhalter mit Puppengesichtern befestigt sind. Die bunten Lockenwickler in ihren Haaren ähneln den ersten Krokussen, Zigarettenstummeln und Bierkappen in der feucht glänzenden Erde. Aber vielleicht sind die Friseure noch nicht soweit, zu glauben, das seien richtige Kunden, vielleicht ist das nur eine therapeutische Übung.

Olga Martynova
Olga Martynova
Olga Martynova ist von Februar bis Ende April 2021 Gast im Stuttgarter Schriftstellerhaus. Sie erhält das Lyrikstipendium des Schriftstellerhauses für ihren Zyklus “Speranza”, der in einen geplanten Lyrikband einfließen soll. Olga Martynova, 1962 in Sibirien geboren, aufgewachsen in Leningrad. 1991 zog sie zusammen mit Oleg Jujew (1959-2018) nach Deutschland. Zahlreiche Veröffentlichungen in russischsprachigen Periodika, vier Lyrikbände. Ihre Gedichte sind ins Deutsche, Französische, Schwedische, Italienische, Serbische, und Englische übersetzt. Seit 1999 schreibt sie Buchbesprechungen und Essays für deutschsprachige Medien (u.a. Die Zeit, Frankfurter Rundschau, Neue Zürcher Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung).