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Buchtipp von Astrid Braun: „Alles“ von Moritz Hildt

Mit dem Versprechen, ihm alles zu erzählen, geht Helen die Ehe ein mit Lukas Seeger, einem Jugendfreund aus früheren Schülertagen, eine Busbekanntschaft, denn das Busfahren vom Heimatort bis zur Schule in der Stadt haben die beiden geteilt, sie, Helen, drei Jahre älter als er, Lukas.

Eines Tages war sie nicht mehr im Herkunftsort, war nach Amerika gegangen, hatte geheiratet und kehrte zurück nach dem Unfalltod ihres Mannes. Zu diesem Zeitpunkt kreuzen sich ihre Wege wieder, um in einem Ort an der Ostsee und in einem gemeinsam eröffneten Café miteinander fortgesetzt zu werden. „Alles begann, bevor die Kraniche kamen“, so der erste Satz des Hauptteils, in dem schon angelegt ist, was es mit dem Alles-Thema auf sich hat. Denn ein Alles ist immer schon da, bevor wir es aus einer Zeitfülle herauspräparieren, so wie die Kraniche schon immer da gewesen sind, bevor sie – mal wieder – ihre Reise angetreten haben. Und ein Alles ist nicht fassbar, so sehr wir uns das auch wünschen.

Alles nimmt also seinen Gang in dem Café an der Ostsee, als eines Tages der totgeglaubte Ehemann von Helen auftaucht. Alle sicher geglaubten Gewissheiten über die Ehefrau kommen dem zweiten Ehemann abhanden, erst recht, als Helen sich eine Auszeit erbittet, um mit Ehemann Nummer eins, Ferdinand, wieder nach Amerika zu reisen, um „einiges zu erledigen“. Sie hinterlässt nichts weiter als eine Telefonnummer, die Lukas nur im äußersten Notfall anrufen dürfe.

Mit fast schon irritierender Langsamkeit entfaltet sich das weitere Geschehen, denn jetzt giert man nach Aufklärung. Aber Lukas ist nicht von der schnellen Sorte und kein Freund rascher und unüberlegter Entscheidungen. Er bricht dennoch auf. Die Handlung weitet sich zu einem Roadtrip in den Süden der USA, von Galveston, Texas, in die Sümpfe Louisianas bis in die rote Wüstenlandschaft Utahs. Und es ist erstaunlich, je mehr man dem Rätsel auf die Spur kommt, desto gelassener liest man, eingeschworen auf das Tempo und die Wahrnehmung. Denn Moritz Hildt, der schon in seinem Erstling „Nach der Parade“ die Handlung in den Süden der USA verlegt hat, ist ein überzeugte Südstaaten-Fan, der die Luft der Südstaaten auf dem Papier ausatmet und in faszinierende Landschaftsgemälde umwandelt. Die Geschichte um Helens erste Ehe hat natürlich auch einen kriminalistischen Zug. Kommt Helens Vergangenheit ans Licht? Wieso hat Ehemann Nummer 1 seinen Tod vorgetäuscht? Ist es manchmal schöner, im Ungewissen zu bleiben?

Die schönste Volte aber schlägt der Autor ganz am Schluss. Deshalb: durchhalten bei der Lektüre.

Moritz Hidt, Alles. Verlag Duotincta, Berlin 2020, 268 Seiten, 17 Euro

 

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