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Buchtipp von Astrid Braun: „Reise nach Maine“ von Matthias Nawrat

Buchcover von Matthias Nawrat, Reise nach Maine Mutter und Sohn gehen auf eine gemeinsame Reise. Sie, Osteuropäerin und seit der Übersiedlung im Fränkischen ansässig, er, Schriftsteller und nicht mehr in der Nähe der Mutter lebend. Keine Frage, hinter dem Mutter-Sohn-Paar schimmert Matthias Nawrats Biografie hervor. Der Autor kam im Alter von 10 Jahren 1989 mit seinen Eltern aus Polen nach Bamberg, studierte später Biologie und wechselte 2009 sozusagen das Fach, war am Literaturinstitut in Biel tätig und hat seitdem vier recht erfolgreiche Bücher veröffentlicht. Ob jetzt seine leibliche Mutter geschieden ist wie die Mutter im Buch, ist unwichtig, denn die biografischen Bezüge sollen ja nicht wahrheitsgetreu ausformuliert werden.

Die beiden reisen nach New York, er will seiner Mutter die Stadt zeigen, so wie er sie Jahre zuvor während eines Auslandsaufenthalt erlebt hat, sie, geschieden, aber durchaus auf eigenen Beinen und im Leben stehend, sucht das Reiseerlebnis und in gewisser Weise eine verloren geglaubte Nähe zum Sohn.

All diejenigen, die erwachsene Kinder haben, wissen: das klingt nach Sprengstoff. Der wird im Text auch erstmal gezündet, als die Mutter, kaum angekommen in New York, verunglückt und heftig mit dem Gesicht aufschlägt, was einen Krankenhausaufenthalt zur Folge hat. Die im Vorfeld der Reise empfundene leichte Aggression des Sohnes wandelt sich erstmal in Sorge und Fürsorge.

Vorsichtig wandern die Beiden nach Versorgung der Mutter durch das glühendheiße New York, langsam bauen sich die Spannungen zwischen den Beiden auf. Nawrats genaue Ortsbegehungen bilden die Beziehung von Mutter und Sohn ebenso behutsam ab wie die geschilderten Begegnungen mit Menschen unterwegs. Der Autor führt andere Figuren ein, Menschen, die die Beiden auf ihrer Reise treffen und lässt diese aus ihrem (amerikanischen) Leben erzählen, damit sich Sohn und Mutter in dem Erzählten spiegeln können. Ein probates Erzählmittel, das speziell die britische Autorin Rachel Cusk in ihren Romanen („Outline“, „Transit“, „Kudos“), zur Meisterschaft gebracht hat. Nach dem Motto: Lass andere aus ihren Leben erzählen, dann bricht das hervor, was sich Deine Hauptfiguren selbst nicht eingestehen, was sie verbergen oder sich sehnlich wünschen. Der blutige Unfall der Mutter zu Beginn wird zum unerhörten Ereignis, ein nahezu klassisches Novellen-Element, das die Dynamik der erwartbaren Spannungen zwischen Mutter und Sohn anheizt und gleichzeitig die Ambivalenz der Gefühle, Abgrenzung und Sorge aufseiten des Sohnes, und Bedürftigkeit und Aggression auf Seiten der Mutter differenziert abbildet.

Nach einer Woche New York zieht es die Beiden hoch in den Bundesstaat Maine, also in die Natur und ans Meer. Schon, die Art, wie Nawrat das Interieur der AirBnB-Wohnungen beschreibt, und die Fortbewegung des ungleichen Paares, zum Beispiel das beherzte Schwimmen seiner immer noch sportlichen Mutter, übersetzt die innere Reise der Beiden vortrefflich. Einmal abgesehen von der Bedeutungsschwere, die dieser Mutter-Sohn-Beziehung wie allen Kind-Eltern-Beziehungen naturgemäß anhaftet, blitzen in vielen Szenen auch komische Momente auf. Deshalb kann man unbeschwert mit den Beiden auf Reisen gehen und wird mit ihnen eine melancholische Leichtigkeit des Seins erleben.

Matthias Nawrat: „Reise nach Maine“. Rowohlt Verlag, Hamburg, 2021, 218 Seiten, 22 Euro

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