2017 drehte sich bei unserem großen Literaturfestival „Stuttgart liest ein Buch“ alles um Shida Bazyars Roman „Nachts ist es leise in Teheran“. Gerne erinnern wir uns zurück an die Tage, als die Autorin hier in Stuttgart war. Keine Frage, daß ihr im Frühjahr bei Kiepenheuer & Witsch veröffentlichter Roman „Drei Kameradinnen“ ganz oben auf meiner Leseliste stand!
Daß der Titel an Erich Maria Remarques „Drei Kameraden“ erinnert, ist kein Zufall. Wie die 3 Freunde in dessen Roman sind auch Bazyars Freundinnen in ihrem Roman eng miteinander verbunden. Bazyars Freundinnen sprechen gerne und reichlich dem Alkohol zu, das Nichtnennen des Handlungsortes hat ihre Geschichte mit der Remarques‘ gemein. „Drei Kameradinnen“ war ursprünglich der Arbeitstitel des Buches, passte jedoch, wie Shida Bazyar in einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte, am Schluss immer noch.
Im Mittelpunkt stehen drei junge Frauen, die drei Kameradinnen, die sich seit ihrer Kindheit in einer Siedlung kennen: Hani, Kasih und Saya. Wo sie leben und wo genau ihre kulturellen Wurzeln liegen, verrät uns die Autorin nicht, lediglich daß eine von ihnen keine braune Haut hat. Die 3 Frauen repräsentieren Menschen, die exotische Nachnamen haben und auch noch anders aussehen als Biodeutsche.
Rassismus, Frauenfeindlichkeit, aber auch die immer stärkere Macht, die die sozialen Medien in unserer Gesellschaft haben, das sind die beherrschenden Themen dieses Romans. An den Anfang stellt Shida Bazyar einen fiktiven Zeitungsartikel, in dem über einen Jahrhundertbrand berichtet wird, bei dem viele Menschen ums Leben kamen. Saya M., so lesen wir, hat sich radikalisiert und wenige Stunden vor dem tödlichen Brand, den sie vermutlich verursacht hat, unter dem Ruf „Allahu Akbar“ einen Mann attackiert. Der dann folgende Text ist der Versuch von Kasih, die in die Rolle der Erzählerin schlüpft, in der Nacht, in der sie auf ihre Freundin Saya wartet, die gemeinsame Geschichte der drei Freundinnen zu erzählen.
Freundin Hani organisiert das Büro einer Marketingfirma, die sich für die Rechte von Tieren einsetzt, eine Firma, die stylische Werbung für den artgerechten Umgang mit Tieren entwirft, aber ausblendet, dass Tiere dann geschlachtet werden. Hani passt sich vollkommen an und sorgt unauffällig dafür, daß der Laden läuft, ohne dass das Team und ihre Chefin das wirklich realisieren. Ihre Lebenssituation hinterfragt sie selten.
Kasih wiederum hat Soziologie studiert, 83 erfolglose Bewerbungen geschrieben und ist Hartz 4 Empfängerin. Sie muss sich regelmäßig bei ihrer Betreuerin im Jobcenter melden, die ihr unpassende Stellen anbietet. Die Trennung von ihrem Freund Lukas bedeutet für sie mehr als Liebeskummer, denn sie verliert die Perspektive auf ein Leben ohne Benachteiligungen.
Freundin Saya ist der Rebell unter den Freundinnen. Sie kam, um gemeinsam mit Hani und Kaisih die Hochzeit einer Freundin aus Kindheitstagen zu feiern. Saya ist voller Zorn und Wut auf eine Gesellschaft, in der Nazis immer lauter werden können. Sie verfolgt den Beginn eines großen Prozesses gegen eine Neonaziorganisation, liest deren geleakte Chats und macht Kasih und Hani immer wieder aufmerksam auf den mehr oder weniger offen zu Tage tretenden Alltagsrassisimus, der sie alle daran hindert, ein ebenso unbefangenes Leben zu führen wie die Biodeutschen.
Von Anfang an lässt uns Kasih im Unklaren darüber, was von dem, was sie erzählt, wirklich passiert ist und was so hätte passiert sein können. In vielen kleinen Episoden erzählt sie von der gemeinsamen Kindheit, von den Alltagserlebnissen der Gegenwart, von Partys in der Pubertät, ersten Beziehungen und Sex. Sie erzählt davon, wie überlebensnotwendig die Freundschaft zwischen den drei Freundinnen gewesen ist, da sie eine Kindheit, also ein halbes Leben und auch unterschiedliche, sie jeweils persönlich diskriminierende Erfahrungen miteinander geteilt haben.
In dem raffiniert konstruierten Roman wechselt Shida Bazyar die Zeitebenen oft abrupt, springt von einer Assoziation zur nächsten und spricht ihre Leserschaft immer wieder direkt an. Dabei hinterfragt sie deren Einstellungen und trifft damit einen Nerv. „Das Buch unterwandert unser gutes weißes Gewissen“ – sagte die LBBTQ – Aktivistin Anna Rosenwasser im Literaturclub des Schweizer Fernsehen über den Roman.
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