Sibirien – das ist das Schicksalswort für Josef Ambacher, der als 10jähriger 1945 mit seiner Familie die Vertreibung nach Sibirien erlebt. Er verliert dabei Mutter und Bruder, gewinnt aber auch Freunde in einer harten Umgebung, die gleichzeitig voller wundersamer Mythen steckt. Als er Mitte der 50er Jahre mit seiner Familie nach Deutschland ausreisen darf, findet er in einer Niedersächsischen Kleinstadt zwar eine neue Heimat, aber er fühlt sich dort nie zu Hause. In den 1990er Jahren wird er plötzlich noch einmal mit seiner Vergangenheit konfrontiert, als russische Aussiedler in die Kleinstadt kommen.
Seine Tochter Leila wächst auf mit dem Trauma des Vaters, stets fürchtet sie die schwarze Stunde, den Moment, in dem die vertraute Welt zusammenbrechen wird. Für Josef war das der Moment, in dem die Soldaten der Roten Armee die Familie nach Sibirien verschleppte, für Leila und ihren Freund Arnold ist es der Moment des Mauerfalls, der die gewohnte Ordnung ins Wanken bringt.
Kunstvoll verwebt Sabrina Janesch verschiedene Zeitebenen: Eingebettet in eine Rahmenhandlung, in der die erwachsene Leila zu Wort kommt, wird wechselnd aus der Perspektive des Jungen Josef und aus der von Leila im Teenageralter erzählt. Das Trauma des Vaters, die Außenseiterstellung der Russlanddeutschen in der Kleinstadt, der Umbruch, als in den 90er Jahren plötzlich die Spätaussiedler kommen – das alles erleben wir aus dieser kindlich-jugendlichen Sicht. So bekommt die schwere, komplizierte Thematik auch eine gewisse Leichtigkeit.
Dieser Roman war eine echte Entdeckung für mich – dass Sabrina Janesch 2010 Stipendiatin im Schriftstellerhaus war, habe ich erst später festgestellt. Der vielschichtige, spannende Roman, der ein Stück Geschichte aufgreift, das bis in unsere Zeit hineinreicht, hat mir sehr gut gefallen!
Bibliographische Angaben zur Bestellung im unabhägigen Buchhandel:
Sabrina Janesch: Sibir. Rowohlt Taschenbuch 2024, 352 S., ISBN 978-3-499-00887-0