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Unterbrechungen #3

Es handelt sich um ein Männchen und ein Weibchen, wobei man sich bei dieser Spezies nicht sicher sein kann.

Sie stehen auf einer Anhöhe im mittleren Schlossgarten. Ein kleiner Hügel mit einem Baum und einer Bank. Ihre beiden Räder mit den großen, traktorhaften Reifen lehnen jeweils an der Bank und dem Baum. Die Wesen selbst tragen enge schwarze Funktionskleidung, wahrscheinlich zum Radfahren oder Laufen, eigentlich sehen sie aber aus, wie zwei sowjetische Taucher aus einem James Bond-Film. Sie tragen Handschuhe, Helme, Brillen und Atemschutzmasken – ich schreibe Atemschutz, weil ich rational weiß, dass es ein Atemschutz gewesen sein muss, in meiner Erinnerung ragen bereits dystopische Gasmasken aus ihren Gesichtern.

Die beiden Wesen stehen auf dem idyllisch grün überwucherten Hügel und schreien sich an. Sie streiten. Sie gestikulieren wild, ich drücke die Stop-Taste meines iPods, stämme die Ferse des Laufschuhs in den Weg und tue, als müsste ich mir die Beinmuskeln dehnen. Leider verstehe ich sie nicht, sie sind zu weit weg und die Masken dämmen ihre Worte zusätzlich. Das eine Wesen, das größere, ich halte es für das Männchen, klopft sich mit der Hand auf den Helm und stampft auf den Boden. Das Weibchen zieht die Hände auseinander. Das Männchen dreht unvermittelt den Kopf und schaut mich an. Ich wende den Blick ab und schalte die Musik des iPods wieder ein, bleibe aber stehen, was wiederum ein Beweis dafür ist, dass mein IQ so hoch auch nicht sein kann.

Als ich das nächste Mal aufschaue, kreuzt das Männchen auf seinem Traktorbike knapp vor mir den Weg. Es fährt ins Gras und eine Schleife um mich, dann dirigiert es sein Gefährt mit wütenden kleinen Tritten davon. Ebenso aufgebracht sehe ich das Weibchen in eine andere Richtung verschwinden. Ich schaue auf die Bank und den Baum, eigentlich ein so schöner Ort, und hoffe, dass sich die Wesen wieder vertragen. Wenn man charakterlich so ausgeprägt ist, darf man sein Gegenüber nicht leichtfertig verschleißen. Ich meine, wie schnell findet man denn wieder einen seelenverwandten Gasmasken-Traktorradfahrer?

Ich jogge um den Teich und ärgere mich über die Leute, die den EinskommafünfMeterAbstand nicht einhalten. Ich denke über das Streiten in Corona-Zeiten nach. Dass dem Streit und der Gewalt nicht genügend Raum gegeben wird. In Amerika, habe ich gelesen, hat die Polizei die Verbrecher via Twitter aufgefordert, ihre kriminellen Handlungen vorerst auszusetzen, weil man wegen Corona gerade nicht hinterherkomme mit den Verhaftungen und Fahndungen. Man werde dann rechtzeitig Bescheid geben, wann der kriminelle Körper des Landes seine verruchten Tätigkeiten wieder aufnehmen könne.

Verantwortungsvoller Faustkampf, denke ich, und frage mich, wie man so eine Corona-Schlägerei organisieren könnte, ohne sich gegenseitig zu berühren. Vielleicht könnte man sich stattdessen im Park treffen und mit Darts beschießen. Oder man stellt sich im verantwortungsvollen EinskommafünfMeterAbstand auf und ruft dem Gegner zu, wie und wo er sich selbst zu verletzten hat: „Faust, Jochbein, mittelstarker Schlag.“

Ich beende die Runde um den Teich und laufe auf die kleine Anhöhe mit dem Baum. Ich setze mich auf die Bank und stelle mir vor, wie sich die beiden Gasmaskenwesen auf ihren Traktorradrädern auf dem Weg gegenüberstehen, jeweils eine Lanze unter dem Arm. Ich verschränke die Arme hinter dem Kopf und lache bei der Vorstellung. Ich hoffe, die beiden geben rechtzeitig vorher Bescheid, damit ich mir Popcorn mitbringen kann.

Angela_Lehner
Angela_Lehner
Angela Lehner wurde 1987 in Klagenfurt geboren und hat nach dem Abitur vergleichende Literaturwissenschafte in Wien und Maynooth (Irland) studiert, mit Bacholor abgeschlossen, dann den Master erworben. Im Frühjahr 2019 hat Lehner den Roman “Vater unser” im Hanser Verlag Berlin veröffentlicht und dafür bislang zahlreiche Preise erhalten, u.a. war sie auf der Longlist des deutschen Buchpreises vertreten und wurde mit dem Debütpreis des österreichischen Buchpreis 2019 ausgezeichnet.