Ein wie immer sehr gut vorbereitetes Trio in der Hospitalkirche über den Roman “Unter der Drachenwand” von Arno  Geiger, Foto: Michael Seehoff

Die drei Theologen stellten den Zuhörern im voll besetzten Kirchenschiff die unterschiedlichen Romanfiguren vor. Pfarrer Eberhard Schwarz hat sich intensiv mit dem Frontsoldaten Veit Kolbe auseinandergesetzt. Zu Beginn des Romans empfindet er ihn als einen “tumben Tor”, in Anlehnung an Parzival von Wolfram von Eschenbach. Auch Veit mache ähnlich wie Parzival im Laufe des Romans eine Passage, sprich Entwicklung durch. Der Soldat, der anfangs seine Begeisterung für Hitler nicht leugnet, muss sich nach den schrecklichen Erfahrungen im Krieg mit der Frage auseinandersetzen, was gut, was böse ist, um sich ein belastbares ethisches Fundament zu schaffen. Schnell kommt es im Laufe der Handlung zum Bruch mit seinem Vater. Veit kann den Hurrapatriotismus seines Vaters nicht länger ertragen.

Monika Renninger zeichnete das Bild der Darmstädterin, die neben Veit das Quartier bezogen hat, als eine Person, die in ihrer Körperlichkeit ganz im Gegensatz zu Veit unversehrt ist. Sie hat eine Leichtigkeit, die ihr die Kraft gibt. Hinzu kommt, dass sie als junge Mutter, getrennt von ihrem Mann, der sich ebenfalls im Krieg befindet, die alleinige Verantwortung für das Baby Lilo trägt. Ihr Kampf gilt dem Überleben ihres Kindes, nicht dem Niederringen eines äußeren Feindes. Der Schutz des Lebendigen ist ihr wichtig. Sie verkörpert Fürsorge und Liebe. Zärtlichkeit und Liebe stehen im Mittelpunkt. Das kann sie allerdings nicht mit ihrem angetrauten Mann leben.

Der Brasilianer – eine Figur im Geiste Luthers?

Für Pfarrer Matthias Vosseler ist der Brasilianer einer, die die Luft der Freiheit atmet. Er hält mit seiner Meinung über den F. nicht hinter dem Berg und hält den Krieg und die nationalsozialistische Ideologie für falsch. Matthias Vosseler kann an ihm sogar lutherische Züge erkennen: der Brasilianer geht seinen Weg und folgt nur seinem Gewissen. Selbst das Zuchthaus, in das er zwangsläufig wegen seiner Opposition zum Nazi-Regime kommt, kann ihn nicht brechen. Einstehen für die eigene Meinung, das atme den Geist der Bibel, so Matthias Vosseler.

Der jüdische Zahntechniker Oskar Meyer ist mit seinem jüngeren Sohn Georgili und seiner Frau Wally aus Wien nach Budapest geflohen. Sein älterer Sohn Bernhard hat das sichere England erreicht. Pfarrer Eberhard Schwarz erläutert, dass das vorherrschende Bild im Nationalsozialismus vom raffgierigen Juden in den Reflektionen von Oskar Meyer korrigiert wird: Es sind die Deutschen, die Arier, die in ihrer Gier das Hab und Gut der jüdischen Mitbewohner rauben, brandschatzend durchs Land ziehen, um sich Bodenschätze und Land widerrechtlich anzueignen, Güter zu Geld machen.

Natürlich muss in solch einer theologisch grundierten Diskussion die Frage aufkommen, wie Gott das alles zulassen kann. Das Koordinatensystem des einstmals gläubigen Oskar Meyer ist brüchig geworden, es geht für ihn nur noch um das nackte Überleben. Er hält sich, nach Verlust seiner Frau und seines Sohnes an dem roten Halstuch seiner Frau Wally fest. Das Tuch ist ein Symbol für die Schönheit und Liebe – das bleibt Oskar Meyer als Schutz.

Bei Veit ist es die Liebe, die ihn schützt, ein Stück weit auch das Pervitin, beim Brasilianer ist es die Freiheit des Geistes, an der er sich aufrichten kann. So hat jede Figur ihre Rückzugsräume in den grausigen Zeiten. Monika Renninger rezitierte einige kurze Psalmentexte. ebenfalls eine Kraftquelle für gläubige Menschen. Den Sprachduktus der Psalmen aus dem Alten Testament erkennt Monika Renninger auch in den Textpassagen der Mutter aus Darmstadt.

Im anschließenden Publikumsgespräch wurde deutlich, dass der Roman nicht alle Spannungspunkte auflöst. So bleibt z.B. offen, warum der offensichtliche Mord am Onkel keine weiteren Konsequenzen hat. Damit bleibt der Leser zurück und ein Stück weit allein.

Astrid Braun und Michael Seehoff