Stuttgart liest ein Buch 2019

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    Arno Geiger: „Meine glückliche Ehe ist meine eigentliche Lebensleistung“

    Als Arno Geiger 2018 seinen soeben erschienenen Roman „Unter der Drachenwand“  im Stuttgarter Literaturhaus vorstellte, bezeichnete er ihn in erster Linie als Liebesroman. Das griff die Leiterin des Literaturhauses Dr. Stefanie Stegman an diesem Gesprächsabend, einen Tag nach der Eröffnung, im Rahmen von „Stuttgart liest ein Buch“ gerne auf: Moderiert von Prof. Dr. Thorsten Hoffmann von der Universität Stuttgart diskutierten Arno Geiger und der Stuttgarter Schriftsteller Jan Snela über die Liebesgeschichten in „Unter der Drachenwand“, aber sie sprachen auch über gelingende Liebesbeziehungen und das Schreiben über Sex.

    „Es ist schön, den Text arbeiten zu sehen“ sagte Arno Geiger im Rückblick auf die Eröffnung am Abend zuvor. Besonders berührt hatte ihn die Puppenspielerin Iris Meinhardt mit ihrem Spiel, denn sie machte das, was er auch als Schriftsteller tut: Einen Stoff zu emotionalisieren. Für ihn war das Schönste daran zu sehen, dass Nanni, eine der zentralen Personen des Romans, lebt, auch wenn die Leserinnen und Leser diese zentrale Rolle möglicherweise auf den ersten Blick gar nicht so wahrnehmen mögen. Für Geiger ist jedoch Veits Begegnung mit dem jungen Mädchen, bei der er ihr bestätigt, dass Verliebtsein wunderschön ist, ihr gleichzeitig jedoch seine Unterstützung gegenüber der Mutter verweigert, auch entscheidend für Veits weitere Entwicklung. Veit wisse, dass er das Mädchen im Stich gelassen habe, was später sein Vorgehen in Bezug auf den Onkel bestimme.

    Bei seinem Buch „Der alte König in seinem Exil“ erlebte Geiger, „wie das Thema das Kunstwerk gekapert hat.“ Deshalb sei es ihm auch so wichtig, zu betonen, daß „Unter der Drachenwand“ kein Kriegsroman sein will. Natürlich sei der Krieg ein „unglaublich starkes Thema, das eine große Kraft entfalte, andere Themen haben dann aber einen schweren Stand.“ Was er in seinem Roman jedoch auch und vorrangig zeigen möchte, ist, dass der Krieg tief ins Private eindringe und die Liebesfähigkeit zerstören könne.

    Für Jan Snela ist die Liebe in Arno Geigers Roman kein „Geschmacksverstärker“, sondern eine „wehrmachtszersetzende Kraft“. Die Liebe zwischen Veit und Margot sei eine beiläufige Annäherung und hätte in dieser Form nicht stattgefunden, wenn der Krieg nicht gewesen wäre. So jedoch seien sie glücklich, daß sie einander haben – so wie es einst Robinson und Freitag gewesen seien. Für Snela wurde auch der Sex im Roman sehr plastisch, obwohl Arno Geiger, wie er selbst sagt, auf die Beschreibung von Details komplett verzichtet habe.

    Überrascht waren die konzentriert lauschenden Zuhörerinnen und Zuhörer im vollbesetzten Saal darüber, dass Geiger ursprünglich die Lehrerin für Veit Kolbe vorgesehen hatte. Während der Arbeit an dem Roman habe er gemerkt, daß das nicht gepasst habe. „Veit ist innerlich versehrt, sein Selbstbild ist untergraben“, so Geiger, „eine schlechte Voraussetzung für eine Liebesbeziehung“. Das spüre die Lehrerin. Ihr Instinkt sage ihr auch, daß es Veit nicht um sie gehe, sondern darum, jetzt noch etwas zu erleben, bevor er zurück an die Front müsse.

    Zum Schluss wurde es dann noch persönlich: Er würde sicher niemand etwas neues erzählen, meinte Arno Geiger, wenn er feststelle, daß eine gute Beziehung tägliche Arbeit erfordere. Er sei kein romantischer Mensch, aber er führe eine glückliche Ehe und das, so Geiger „ist meine eigentliche Lebensleistung.“

    Ein besseres Schlusswort für einen anregenden und interessanten Abend hätte er kaum finden können!                              Susanne Martin