Von Catarina Da Silva und Moritz Hildt
Jede Geschichte – von der kurzen Erzählung bis zum Roman – ist aus einer bestimmten Perspektive heraus erzählt. Damit ist gemeint: Wer erzählt die Geschehnisse der Handlung? Denn die Erzählinstanz entspricht nicht automatisch unseren Hauptfiguren. Eine der gebräuchlichsten Unterscheidungen hast du sicher im Deutschunterricht schon mal gehört: Die Ich-Perspektive, die Personale Perspektive und die Auktoriale Perspektive. (Die drei Begriffe gehen auf den Germanisten Franz Stanzel zurück und finden sich in seiner Theorie des Erzählens, 1982.) Auch wenn diese Unterscheidung nicht unstrittig ist, folgen wir ihr hier, da sie für eine eine übersichtliche Darstellung ganz nützlich ist.
Für uns als Schreibende ist vor allem die Frage wichtig: Welches Potential steckt in welcher Erzählperspektive? Denn als Autorinnen und Autoren wählen wir nicht nur den Stoff für unsere Geschichten und erschaffen Protagonisten, sondern wir sind auch frei in der Entscheidung, wie wir die Geschichte erzählen.
Es lohnt sich, beim Schreiben ganz bewusst darüber nachzudenken, aus welcher Perspektive heraus du deine Geschichte erzählen willst. Denn jede Erzählperspektive hat ihre eigenen Stärken und spezifischen Vorteile. Und ebenso gibt es bei jeder gewisse Stolpersteine und Dinge, die es zu beachten gibt.
Die grundlegende Entscheidung
Die erste und grundlegendste Entscheidung mit Hinblick auf die Erzählperspektive ist die Frage: Ist der Erzähler selbst eine Figur der Geschichte oder steht er außerhalb der Geschehnisse?
Im ersten Fall handelt es sich beim Erzähler um einen Protagonisten. Er erzählt die Geschehnisse klassischerweise aus einer Ich-Perspektive heraus. Im zweiten Fall, wenn der Erzähler also außerhalb der Handlung steht, wird für gewöhnlich aus der Dritten-Person-Perspektive erzählt, bei der man zwischen Personaler und Auktorialer Perspektive unterscheidet. Betrachten wir unsere Perspektiven einmal genauer:
Die Ich-Perspektive
Der Ich-Erzähler ist, wie schon gesagt, selber eine Figur innerhalb des Romangeschehens. Für gewöhnlich ist es die Hauptfigur bzw. der Protagonist selbst, der von den Geschehnissen berichtet, die ihm zustoßen. Der Ich-Erzähler kann aber auch eine Nebenfigur der Handlung sein. Dann hat der Ich-Erzähler nicht so sehr eine erlebende, sondern eher eine beobachtende Funktion – wie etwa in F. Scott Fitzgeralds Roman Der große Gatsby (1925), wo die Handlung von Nick Carraway erzählt wird, während die Hauptfigur der rätselhafte Jay Gatsby ist.
Was spricht dafür, die Ich-Perspektive für die eigene Geschichte zu wählen? Ein bedeutender Vorteil ist die große Unmittelbarkeit: Nirgendwo sind die Leser so dicht am Geschehen dran wie wenn es einen Ich-Erzähler gibt, der sie an seiner Reise teilhaben lässt. Die Figur legt ihre subjektiven Gefühle und Wahrnehmungen offen, so entsteht eine emotionale Nähe für die Lesenden. Auch Spannung lässt sich aus der Ich-Perspektive sehr gut erzeugen, denn in einer solchen Geschichte wissen die Lesenden immer nur so viel, wie der Protagonist weiß (und manchmal sogar noch weniger). Eine besondere Form der Ich-Perspektive ist der unzuverlässige Erzähler: Jemand, dem wir als Lesende nicht trauen können bzw. nicht wissen, wie weit wir ihm trauen dürfen. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür liefert die Kurzgeschichte Das verräterische Herz von Edgar Allen Poe (1843).
Eine der größten Herausforderungen, wenn man die Ich-Perspektive wählt, besteht in ihrer Beschränkung: Alles wird durch die Augen des „Ich“ erzählt. Das heißt, entweder muss der Erzähler, also unsere Figur, in allen wichtigen Szenen selbst mit dabei sein – um sie erleben und davon erzählen zu können –, oder wir müssen Mittel und Wege finden, wie sie davon erfährt, z.B. durch Berichte anderer Figuren. Außerdem können alle übrigen Figuren nur von außen charakterisiert werden, also über ihr Verhalten, ihr Aussehen, ihre Sprache und ihr Handeln.
Die Dritte-Person-Perspektive
Sowohl die Auktoriale als auch die Personale Perspektive erzählen die Geschehnisse aus der dritten Person, sprechen also nicht mit der Stimme eines Protagonisten, sondern mit einer beobachtenden Erzählstimme.
Im Gegensatz zum Auktorialen Erzähler ist der Personale Erzähler nur begrenzt allwissend. Er hat nur Zugang zum Innenleben einer einzigen Figur, weiß also nur, was diese Person denkt, empfindet oder fühlt.
Ein großer Vorteil der Personalen Perspektive liegt darin, dass der Erzähler, anders als bei der Ich-Perspektive, auch von Dingen berichten kann, in denen die Hauptfigur des Romans nicht anwesend ist. Die personale Perspektive unterliegt damit deutlich weniger Einschränkungen als die Ich-Perspektive. Zugleich ist noch immer ein Spiel mit Wissen und Nichtwissen – und damit das Erzeugen von Spannung – möglich, da die Leser ja nicht in die Köpfe aller Figuren Einblick erhalten.
Entscheidet man sich für die Personale Perspektive, dann besteht die größte Herausforderung darin, die Figur auszuwählen, zu deren Innenleben der Erzähler Zugang hat. Diese sogenannte Reflektorfigur sollte sehr gut gewählt sein. Wenn du deine Geschichte aus der Perspektive von mehr als einer Figur erzählen möchtest, kannst du mehrere Reflektorfiguren verwenden. Eine gute Daumenregel für den Wechsel des „Point-Of-View“ ist: nach Möglichkeit nie innerhalb eines Abschnitts, sondern kapitelweise die Reflektorfigur wechseln.
Fazit
Eine Ich-Perspektive schafft große Nähe, Intensität und Spannung, bringt aber starke Einschränkungen mit sich, was erzählt werden kann. Eine Personale Perspektive ist distanzierter, gibt aber zugleich einen größeren erzählerischen Spielraum, insbesondere auch in Bezug auf die Geschehnisse, bei denen der Protagonist selbst nicht anwesend ist.
Natürlich gibt es noch weitere Spielarten, auf die wir hier nicht eingegangen sind: Manche Autorinnen verwenden Mischformen, manche experimentieren mit ganz ungewöhnlichen Perspektiven, wie etwa Italo Calvino, dessen Roman Wenn ein Reisender in einer Winternacht (1979) in der „Du“-Form geschrieben ist.
Für welche Perspektive du dich entscheidest, sollte sowohl von deinem Stoff abhängen – hier ist die Leitfrage: wie kann die Geschichte am besten erzählt werden? – als auch davon, womit du dich beim Schreiben wohl fühlst. Am wichtigsten ist aber, dass du dich von der Frage nach der Erzählperspektive nicht in der eigenen Kreativität gehemmt fühlst, sondern sie als ein mächtiges Werkzeug in deinem literarischen Werkzeugkasten siehst, das du dir zunutze machen kannst.
Autor*innen erzählen, wie sie das Thema Erzählperspektive angehen:

Ich liebe die Ich-Form, das Einswerden mit meiner literarischen Figur, entscheide mich inzwischen aber oft für die personale Erzählperspektive, also für einen geweiteten Blick und mehr Distanz. Dennoch wechsele ich manchmal mitten im Arbeitsprozess wieder in die Ich-Perspektive, begebe mich unmittelbar in die Protagonistin hinein, in ihre Gefühle, ihre Träume, ihre Ängste, ihre geheimsten Gedanken. Ich spreche die Sprache der Figur, lote aus, probiere, spiele und löse so oft Schreib-Blockaden. Ab und zu kommt auch die Frage nach der auktorialen Perspektive auf. Ich weiß um das Potential des allwissenden Erzählens, doch ich fühle mich darin nicht zu Hause. Um andere Sichtweisen in den Text einzubringen und die Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten, helfen mir vielmehr die Stimmen anderer Figuren, und ich füge eine weitere Ich-Perspektive, Tagebuchaufzeichnungen, Mails, Textnachrichten ein. – Kathrin Wildenberger, Autorin. http://www.montagsnaechte.de/

Ich entscheide schon recht früh im Schreibprozess, welche Erzählperspektive ich wähle, manchmal ist der Text da jedoch auch schlauer als ich und entscheidet sich nach einer Weile für eine andere Perspektive. Für mich bedeuten verschiedene Perspektiven verschiedene Sichtweisen auf das Geschehen – quasi eine andere Kameraeinstellung, wenn man die Parallele zum Filmischen ziehen möchten. Vor allem die personalen Erzählperspektiven bedeuten, dass man die Geschichte aus der Sicht einer Figur – und damit durch ihren Filter, sprich: ihre Annahmen, Erfahrungen, ihre Weltsicht und Denkweise – erlebt. Meine Lieblings-Erzählperspektive ist daher auch die Ich-Perspektive. Ich finde es besonders reizvoll, so nah an den Gedanken einer Figur zu schreiben – und vor allem, gewisse Gedanken nicht zu schreiben, nämlich die, die die Figur unterdrückt oder nicht wahrhaben möchte. – Robin Ackermann, Autor und ehemaliger Teilnehmer des Jungen Schriftstellerhaus, außerdem seit Mai 2025 erster Vorsitzender des Stuttgarter Schriftstellerhaus.
Am liebsten mag ich die Personale Perspektive, bei der ich in der dritten Person aus der Perspektive meiner Hauptfigur schreibe. Mir gefällt daran, dass ich auf diese Weise schon viel über die Figur erzählen kann, einfach durch die Art, wie sie bestimmte Dinge, Geschehnisse und Charaktere wahrnimmt. Trotz der Nähe zur Figur habe ich außerdem auch die Möglichkeit, in kleinen Momenten ein paar Schritte zur Seite zu tun, ein wenig Distanz zur Hauptfigur einzunehmen und aus einem anderen Blickwinkel auf das Geschehen zu schauen. – Jana Bohle, Autorin und Studentin, ist Teilnehmerin des Jungen Schriftstellerhaus.
Text: Catarina Da Silva und Moritz Hildt