Das junge Schriftstellerhaus

Victoria Krumpholz: “3 Gespräche über nichts”

Victoria Krumpholz Foto: Jan Münster

3 Gespräche über Nichts

Nichts passiert

„Hast du es schon gehört?“ „Was? Was soll ich gehört haben?“ „Na, das.“ „Was?“ „Das wirst du schon noch merken.“
Ich werfe einen irritierten Blick zur Seite. Dort, neben mir, befindet sich eine Person, die ich gleichermaßen lieben und hassen gelernt habe. Sie ist mein stetiger Begleiter in allen Lebenslagen, ist öfter an meiner Seite, als sie es nicht ist, und selbst in Momenten wie diesen, in denen ich ihr am liebsten den Hals umdrehen würde, vermag ich nicht sie wegzustoßen.
Jetzt kichert sie, denn sie liebt meine Reaktion auf ihre Worte, die doch genau das ist, was sie sich erhofft hatte.
„Alle reden darüber.“
Mir entfährt ein Schnauben. Tausendmal habe ich diese Szene erlebt, und doch läuft sie jedes Mal anders ab. Ich könnte beim besten Willen nicht vorhersagen, was nun passieren wird – ich kenne lediglich mich selbst, meine eigene Stimmung.
Ich bin müde. Gerade habe ich keine Nerven für die Spielchen meiner Begleiterin. Ein anderes Mal, an einem anderen Tag, wäre ich vielleicht Feuer und Flamme. Und manchmal, manchmal bin ich derjenige, der damit anfängt. Am Ende kommt immer dasselbe dabei heraus.
„Worüber reden sie?“
Mein Geduldsfaden wird immer kürzer. Trotzdem weiß ich, dass er nicht reißen wird. Das tut er nie.
„Na darüber. Was passiert ist…“
Die Person neben mir hebt vielsagend die Augenbrauen und ich spüre, wie mich gegen meinen Willen die Neugier packt. Früher oder später kriegt sie mich immer.
„Wer ist es jetzt wieder?“, will ich wissen, dieses Mal dann auch wirklich.
Die Faszination ist da, sie war es wahrscheinlich schon eben, aber man muss ihr immer ein bisschen Zeit lassen, um sich vollständig zu entfalten.
„Na, sie.“
Wieder kichert die Person neben mir und verbirgt ihr Gesicht schelmisch hinter ihrer perfekt manikürten Hand.
„Sie?“
Ich blicke skeptisch – meine Begleiterin schüttelt den Kopf, dass ihre feinen blonden Haare vor meinen Augen zu tanzen beginnen.
„Natürlich. Und er kommt auch darin vor.“
„Er…“
Für einen Moment bin ich sprachlos. Die Geschichte hat mich gepackt und nun bin ich in ihren Fängen wie ein Fisch im Netz.
„Ja, er! Kann man’s glauben? Also, ich habe gehört… Von einem Freund, nein, einem Bekannten, der sie kennt – nicht persönlich, nur über mehrere Ecken. Aber mein Freund hat mir versichert, dass es wirklich wahr ist.“
Inzwischen hänge ich an den Lippen meiner Begleiterin, als gäbe es nichts Faszinierenderes auf der Welt. In diesem Moment gibt es das auch nicht.
„Und die beiden haben einfach…zusammen.“
Die andere Person schnappt übertrieben nach Luft und ich kann einfach nicht anders, als ihr zu folgen, sie zu imitieren, mit ihr zu verschmelzen.
„Zusammen zusammen?“, frage ich atemlos.
Sie nickt.
„Ja. Natürlich. Würde ich es dir sonst erzählen?“
Und so werde auch ich für einige Zeit Hüter des größten Geheimnisses, zumindest so lange, bis es ein neues gibt, einen neuen Skandal, der uns in seinen Bann zieht, der sich bei genauerem Betrachten als Nichtigkeit herausstellt – und doch, das größte Geheimnis. Unser aller Heiligtum.

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Nichts gehört

„Warte!“ „Was?“ „Was war das?“ „Was war was?“ „Hast du es nicht gehört?“
Ich schaue in ein bleiches Gesicht mit gerunzelter Stirn, starre ein bisschen, weil ich nicht glauben kann, dass ich es als einziger vernommen habe. Ein Windstoß fährt unter meinen Mantelsaum, hebt ihn an, lässt ihn für ein, zwei, drei Sekunden wie schwerelos schweben.
„Na, das.“
Ich spüre, wie meine Augen sich weiten, und hoffe, dass mein Gegenüber mich versteht.
Er sieht sich um, blickt über seine Schulter, doch hinter uns ist – wie immer – nur Schwärze.
„Was?“ wiederholt er und ein Hauch von Ungeduld schleicht sich in seine Stimme.
Seine Augen huschen hin und her wie die Mäuse im Schatten meines Kellers und ich hole tief Luft – nur, um zu erstarren.
Da ist es wieder, ich kann es klar und deutlich hören. Für ein paar Sekunden verschlägt es mir die Sprache; dann schüttele ich den Kopf und lehne mich in Richtung meines Gegenübers.
„Hörst du das nicht?“
„Nein, was soll ich denn hören?“
„Ich weiß es nicht.“
Als mir klar wird, dass ich stehen geblieben bin, setze ich mich schnell wieder in Bewegung. In flottem Tempo geht es die Straße herunter und ich wünsche mir, meine Wohnung wäre nicht mehr so weit entfernt.
Ich friere.
„Da!“ wispere ich, als das Geräusch ein drittes Mal an mein Ohr dringt.
Ein Schauder läuft meinen Rücken herunter und hinterlässt eine Hügellandschaft. Mein Begleiter reibt sich die Unterarme – ich sehe, dass auch er Gänsehaut hat.
„Jetzt habe ich es auch gehört!“
Obwohl ich mich vor Sekunden noch nach Bestätigung gesehnt habe, möchte ich jetzt nichts lieber, als die Worte des anderen zu vergessen. Aber sie geistern in meinem Kopf herum wie das Geräusch hinter uns – oder war es vor uns, im Gebüsch neben uns?
Ich lasse meinen Blick schweifen, doch da ist nichts, keine Gestalt, die sich aus der Dunkelheit löst. Meine Muskeln sind trotzdem angespannt – ich bin auf alles gefasst.
„Was ist das?“
Das Flüstern des anderen ist tonlos geworden, als versage seine Stimme, oder aber als drücke jemand seine Kehle zu, nur ein kleines bisschen und doch genug, um die Töne zu drosseln, die er hervorzubringen versucht.
Er räuspert sich, zweimal, und fährt noch leiser fort.
„…meinst du, uns folgt jemand?“
Ich traue mich kaum, ihn anzusehen, aus Angst, meinem Blick könnte etwas Wichtiges entgehen, während ich abgelenkt bin.
„Quatsch… Hier doch nicht, oder?“
„Ich weiß nicht…“, setzt er unheilvoll an. „Eigentlich nicht… Aber ich habe letztens was gelesen.“
„Was?“
Mein Kopf schwirrt und ich wünsche mir, ich hätte vorhin etwas getrunken. Auf einmal scheinen wir nur von Geräuschen umgeben zu sein, Rascheln, Knacksen, Schlurfen, Atmen? Meine Beine werden schwach.
„Nichts. Nur, dass hier in der Nähe mal… Jemand hat mal jemand anderen – nun, sie haben jemanden gefunden. Aber das ist schon eine Weile her!“
Er versucht, seine Aussage zu relativieren, aber weder ich noch er lassen sich überzeugen. Schon längst hat uns die Angst gepackt. Auf einmal kommen mir die Straßen, die tagsüber so harmlos und normal wirken, alles andere als freundlich vor.
War der Weg nach Hause je so lang?
Wieder vernehme ich etwas und dieses Mal scheint es direkt hinter mir zu sein. Ich fahre herum, aber wieder versagen meine Augen mir den Dienst. Man müsste eine Katze sein, um im Dunkeln sehen zu können – wir können das nicht.
Mein Begleiter hustet – ich fahre zusammen. Meine Schritte beschleunigen sich weiter. Mein Körper und Geist befinden sich in einem Zustand innerer Unruhe, dem ich nicht entfliehen kann, egal wie schnell ich renne.
„Und Gerüchte besagen“, keucht mein Begleiter, während er versucht, mit mir mitzuhalten, „dass hier in der Gegend schon öfters Dinge passiert sind. Da war zum Beispiel diese eine Dame…“
Ich verfluche ihn innerlich, obwohl ich weiß, dass er nur redet, um nicht denken zu müssen. Aber seinetwegen rast mein Puls, schwitzen meine Hände – noch drei Querstraßen.
Ein weiteres Geräusch hinter uns, das Krachen klingt wie ein Gewehrschuss in meinen Ohren – um ein Haar renne ich los.
Fast erwarte ich, dass sich eine Hand hinter mir aus der Dunkelheit schält und mich packt, zurückzieht.
Fast spüre ich den Luftzug, der mich streift, als ich ihr knapp entwische.
Ich kann nicht mehr stehenbleiben.
„Wir sind gleich da,“ bringe ich hervor zwischen hechelnden Atemzügen. „Nur noch ein bisschen.“
„Aber was, wenn…“
„Schneller! Wir müssen schneller sein!“
Wir erreichen meine Haustür rennend. Mit zittrigen, eingefrorenen Fingern taste ich nach den Schlüsseln in meiner Manteltasche. Diese letzten Sekunden sind am nervenaufreibendsten, denn ich kann nicht weg, könnte nicht fliehen, wenn ich müsste.
Dann geht die Tür endlich auf und wir drängen uns in die Wohnung, schlagen die Tür hinter uns zu und schaffen so eine überwindbare Barriere zwischen uns und dem Nichts da draußen – zumindest glauben wir das.

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Nichts getan

„Was machst du denn schon wieder ein Gesicht?“ „Wie bitte?“ „Hab ich dir irgendwas getan? Was ist es jetzt schon wieder?“ „Ich weiß nicht? Habe ich irgendwas gesagt? Um deine Meinung gebeten?“
Ich schnaube und wende mich den Karotten auf dem Schneidebrett vor mir zu. Mit etwas mehr Wucht als nötig zerhacke ich sie in gleich große Stücke – dabei bin ich mir der Präsenz in meinem Rücken immer bewusst.
„Was soll dieser Ton?“ dringt es an mein Ohr und meine Augenbrauen ziehen sich zusammen.
Schnell versuche ich, meine Stirn wieder zu glätten, um die hässliche Falte über meinem Nasenbein nicht noch zu verschlimmern – wie immer gelingt es mir nicht.
„Was soll ich denn bitte antworten, wenn ich mit der Frage begrüßt werde, wie mein Gesicht schon wieder aussehe?“
„Jetzt reg dich mal ab“, verlangt er. „Das machst du immer.“
„Was mache ich immer? Unzufrieden schauen? Mir nicht alles gefallen lassen? Ich denk wohl, dass ich jedes Recht dazu habe!“, fahre ich ihn an.
Als ich mich umdrehe, hat er die Arme vor der Brust verschränkt und meine Stirnfalte spiegelt sich auf seinem Gesicht.
„Ich hab dir gar nichts getan! Du gehst mich immer grundlos an, obwohl ich einfach nur eine Frage gestellt habe – berechtigt, im Übrigen. Aber entschuldige, dass ich mich nach meinem Vergehen erkundigt habe. Wie dumm von mir.“
Seine Worte triefen vor Sarkasmus und wieder ist es genau das, was mich auf die Palme bringt. Das verborgene Gefühl von Überlegenheit, das doch in jedem seiner Sätze steckt. Es bringt mein Blut wortwörtlich zum Kochen.
„Am besten du sagst gar nichts mehr und lässt mich in Frieden unzufrieden sein“, zische ich. „Das wäre besser für uns alle. Wie immer.“
„Was soll denn das schon wieder heißen?“, braust er auf.
Ein selbstgefälliges Lächeln schleicht sich auf meine Lippen.
„Ich weiß nicht. Was denkst du denn?“
„Und hier haben wir es wieder! Du musst immer das letzte Wort haben! Hast Angst davor, Unrecht zu haben… Aber ich sag dir was, ich mache da nicht mit. Leb doch weiter in deiner Fantasiewelt, die du regieren kannst, wie es dir beliebt. Manipulier doch andere, aber nicht mich! Ich bin fertig damit.“
„Ich soll was machen? Andere manipulieren?“
Jetzt platzt mir endgültig der Kragen. Ich bin kurz davor, ihm die Möhren ins Gesicht zu schleudern, all die kleinen Stückchen, die ich in mühevoller Kleinstarbeit gefertigt habe. Das sollte unser Abendessen werden – aber Abendessen hat er nicht verdient nach dieser Anschuldigung.
„Das machst du doch ständig!“
Er setzt noch einen drauf.
„Alle müssen immer nach deiner Pfeife tanzen und sobald mal etwas nicht so läuft, wie du es willst, bist du beleidigt.“
Fast muss ich lachen, so wütend bin ich. Aber stattdessen schreie ich.
„Wie redest du eigentlich mit mir? Wer glaubst du, wer du bist? Weißt du was? Mach dein beschissenes Essen doch alleine! Ich bin weg.“
Ich schleudere das Messer, das ich die ganze Zeit in der Hand gehalten habe, direkt vor seine Füße, hoffe insgeheim, dass es mindestens seinen großen Zeh abtrennt. Dann stürme ich aus der Küche, aus der Wohnung, aus seinem Leben.
Zumindest sage ich mir das.
Einige Stunden später kehre ich zurück, wie immer. Ich erinnere mich nicht mehr, warum wir gestritten haben oder worüber. Alles geht weiter wie vorher, bis zum nächsten Streit um nichts und wieder nichts.

© Victoria Krumpholz.2020

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