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Astrid Braun liest Elizabeth Strout, Teil 2

Astrid Braun stellt Ihnen zwei weitere Romane von Elizabeth Staut vor, die in den Jahren 2016 und 2018 erschienen sind, darunter ist auch ihr Lieblingsbuch der Autorin.

Die Unvollkommenheit der Liebe

Mit diesem Roman verlegte Strout ihre Geschichten an einen anderen Ort als Crosby, Maine. Es wird noch deutlich provinzieller, von Blicken aufs Meer keine Rede. Auf den Plan tritt Lucy Barton, Schriftstellerin und Mutter zweier kleiner Mädchen, die wegen einer hartnäckigen Infektion 9 Wochen im Krankenhaus liegen muss. Eine harte Zeit, aber eines Tages, als sie gerade aus dem Schlaf erwacht, sitzt ihre Mutter am Bett, wird diesen Platz für 5 ganze Tage nicht verlassen und ihrer Tochter beistehen. Wobei das nicht das richtige Wort ist, denn schnell wird klar, dass die beiden kein besonders gutes Verhältnis zueinander hatten. Lucy blickt in Gegenwart ihrer Mutter zurück auf eine Kindheit in the middle of nowhere in Illinois, eine Kindheit in bitterer Armut und Kälte mit Eltern, die sich nicht besonders gut gekümmert haben, um es vorsichtig auszudrücken. Lucy hatte den Ort so schnell es irgend ging verlassen und ihre Mutter seitdem nie wieder gesehen.

Die seltsam irreale Begegnung der beiden spielt sich nicht in schneidenen Dialogen ab, dazu ist Lucy zu schwach. Strout hüllt die beiden in eine somnambule Atmosphäre, um über Gegenwart und Vergangenheit der Familie zu schreiben. Sie bleibt dabei ausschließlich in der Perspektive von Lucy. Nachgetragene Wut, nachgetragene Trauer, aber natürlich auch nachgetragene Liebe spiegeln sich im Text, auch die Entwicklung von Lucy hin zur selbständigen Künstlerin trotz der schwierigen Startbedingungen wird nachgezeichnet. Immer wieder bemerkenswert, wie treffsicher Strout Gefühlswelten ohne viel Brimborium zeichnet.

Alles ist möglich

Nur zwei Jahre später als “Die Unvollkommenheit der Liebe” kam  “Alles ist möglich” auf den Buchmarkt. Und darin wird vieles von dem aufgefächert, was bereits in der “Unvollkommenkeit” angedeutet wird. Die Art und Weise, wie Strout aus verschiedenen Episoden, Erzählungen einen Roman entwickelt, die hat sie in diesem Band zur Perfektion gebracht. Allerdings ist die Entschlüsselung der Zusammenhänge zwischen den einzelnen Geschichten schon eine echte Herausforderung. Man ist versucht, sich Zeichnungen anzufertigen, um Hinweise und Querverweise zu notieren, aufzumalen, damit ein stimmiges Gesamtbild entsteht.

Es geht um die Bewohner der Kleinstadt im Mittleren Westen, Amgash, die wir in Bruchstücken schon im Krankenhausroman um Lucy Barton kennengelernt haben. Mit einiger Mühe finden wir das Personal wieder, ausführlicher dargestellt. Wer Lucy Barton im Krankenhaus kennengelernt hat, wird es mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen, dass sie ihre Geschwister in einer der Geschichten des Romans wiedertrifft. Es herrscht niemals Sentimentalität in den Texten von Strout, aber dennoch Zuneigung und Wärme. Auch eine Ahnung von der Skala an Verirrungen, zu denen wir Menschen fähig sind. Mein Lieblingsbuch von Elisabeth Strout.

Vielleicht haben Sie Lust bekommen, die Autorin wieder zu lesen oder für sich zu entdecken. Die notwendigen bibliographischen Angaben für eine Bestellung im unabhängigen Buchhandel finden Sie hier 

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