Moritz Hildt gab mir das Stichwort, unsere äußeren Lebensumstände den Raum für eine neue, sehr geliebte Kategorie: „Wiedergelesen“. So wie Kollege Wolfgang Tischer auf literaturcafe.de jeden Tag eine Stunde aus „Die Pest“ von Albert Camus las, so erinnere ich mich jetzt wieder einmal an Marlen Haushofer und ihren unvergleichlichen Roman „Die Wand“ aus dem Jahr 1963.
Kompositorische Sicherheit, wenn jemand das ebenfalls beherrscht, dann Marlen Haushofer, die nach meinem Dafürhalten ebenfalls den Nobelpreis für Literatur verdient gehabt hätte, wären nicht in diesen Zeiten meistens Männer damit ausgezeichnet worden. Drumherum erhielten Albert Camus, 1957, und Jean-Paul Sartre, 1964, die höchste Auszeichnung. Das beleuchtet jedoch ganz sicher das geistige Klima dieser Jahre, auch „Die Wand“ ist ein zutiefst existentialistischer Roman.
Die „Zahnarztgattin“, als die Haushofer häufig tituliert wurde, ist nicht nur eine Meisterin der Komposition, sondern auch des Understatements. Als sie ihrem Verleger damals die Geschichte übergab, schrieb sie im Begleitschreiben von einer „kleinen Katzengeschichte“. Ja, so kann frau es auch nennen.
Es geht in der Wand nicht um eine tödliche Krankheit, sondern um eine gewaltsame Isolation nach einem nicht näher beschriebenen Unglück. Zwischen der sich in einem Wald befindlichen Hauptperson und der restlichen Welt hat sich über Nacht eine Wand errichtet, die sie von der restlichen Zivilisation und auch der Familie trennt, bzw. sie auf sich selbst zurückwirft. Sie kämpft mit einer Kuh, einem Hund und später noch mit einer Katze um das einsame Überleben in der Natur und legt jeden Abend Zeugnis ab von diesem Kampf, bis der letzte Bleistiftstummel und das letzte Papier aufgebraucht sind. Dieser Kampf währt Jahre. Wie Haushofer die Spannung zwischen Erzählzeit und erzählter Zeit aufrechterhält, ist einfach meisterhaft. Der Roman behandelt auf sehr unterschiedlichen Ebenen, was die menschliche Existenz ausmacht, für was es sich lohnt, für was nicht. Erinnert hat mich die weibliche Hauptfigur sehr an Dr. Rieux aus „Die Pest“ von Camus, der nicht darüber nachdenken will, ob die Menschen das verdient haben oder nicht, sondern sich nur unerbittlich gegen Leid und Unrecht stemmt. Und einfach weitermacht, malgré tout…., trotz allem.
Falls Sie das Buch nicht lesen wollen, sei in diesem Fall unbedingt auf die Verfilmung des Romans mit Martina Gedek aufmerksam gemacht. Als der Film 2012 herauskam, habe ich viele Monate gezögert, ihn zu sehen, um nicht enttäuscht zu werden. Und dann erlebte ich eine Sternstunde in Sachen Literaturverfilmung.
„Die Wand“ habe ich inzwischen mehrfach wieder gelesen und jedes Mal macht mich der Roman ehrfürchtig. Auch die anderen Bücher von Haushofer sowie die Biographie zu Marlen Haushofer, geschrieben von Daniela Strigl, sind sehr lesenswert
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